Cornelius Völker1990–2010 -

Cornelius Völker, Schokolade, 1992−1995, Öl auf Leinwand, 150 x 300 cm, Privatbesitz. Foto: Meino, Wuppertal © VG Bild-Kunst, Bonn 2011

»Zu sehen, was man mit Farbe alles machen kann, fasziniert mich immer wieder aufs Neue!« (Cornelius Völker)

Mit Schokolade in den Maßen einhundert mal zweihundert Zentimetern oder quadratisch mit einhundertzehn Zentimetern Seitenlänge – so beginnt, chronologisch, die umfassende Werkschau der Bilder von Cornelius Völker im Museum Villa Stuck. Schon 1992, noch während seines Studiums an der Düsseldorfer Akademie, verschrieb sich der Künstler diesem eigenwilligen Spiel mit den Mitteln der Malerei: der gezielten Isolierung profaner Sujets in riesenhaften Formaten. Völker bleibt jedoch nicht bei der bloßen Abbildung stehen. Mit größter Konsequenz führt er die Malerei in jene Grenzbereiche, wo der Gattung selbst ungeahnte Freiheiten entstehen.

Ob als „Grundlagenforschungen nach den Bedingungen des malerischen Prozesses“ (Stephan Berg) oder als Versuch, „durch Erheiterung zu überrumpeln“ (Walter Grasskamp), ob Teebeutel oder Meerschweinchen, Völkers Pfade durch die Welt des Trivialen sind sinnliches und intellektuelles Vergnügen zugleich. Souverän pickt er sich in der eigenen Bildfindung die passenden Referenzen aus dem kunsthistorischen Reservoir: Werke von Rembrandt, Millet aber auch der Vertreter des Abstrakten Expressionismus bilden Bezugspunkte aus der Tradition, die in den Großen Damen (1995), den Beinen (1997) oder in den Schwimmern (1994-96) zeitgemäße Antwort finden.

So entsteht Malerei im fast schon klassischen Sinn – aber erst auf den zweiten Blick. Der erste gilt den Motiven, die Cornelius Völkers Leinwände in Übergröße beherrschen: Männer oder Frauen, die sich den Pullover über den Kopf ziehen, Mädchen mit Handtaschen auf dem Rücken oder vor dem Bauch, immer im Ausschnitt gesehen, Arm- oder Beinhaltungen in Variation, ungelenk wirkende kleine Ballerinen, Schwimmer, Schoßhündchen, Badeschlappen, Waffen, Bauchnabel, Zigarettenasche...

Motivik und die Trivialität der Sujets ähneln scheinbar den Mechanismen der Pop Art. Deren glatte Oberflächlichkeit bildet jedoch das genaue Gegenteil zur malerischen Umsetzung bei Völker. In seinen Werken entwickeln pastoser Farbauftrag und offensichtlich bewusst akzentuierter Pinselstrich ein geradezu physisches Eigenleben. Was dominiert – Motiv oder Malerei an sich? In der Serie Puttiklatsch veranschaulicht Völker diesen Wettkampf: riesenhafte Fliegenklatschen zerschmettern vor einem Hintergrund, der an Küchenfliesen erinnert, pastos-putzige Putti, statt Blut spritzt Farbe. Am Ende ist es Farbe, in allen denkbaren Zuständen, glatt, mehrfach geschichtet, verrührt, cremig oder zentimeterdick aufgetragen, die Formen dessen schafft, was schließlich als Bildinhalt sichtbar wird, ob Mensch, Tier oder Ding.

Cornelius Völker ist 1965 in Kronach geboren. Von 1989 bis 1995 studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf bei A.R. Penck und Dieter Krieg. Seit 2005 hat er eine Professur für Malerei inne an der Kunstakademie Münster. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf und New York. Die Ausstellung, die in enger Kooperation mit dem Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen, Mönchehaus Museum Goslar und dem Von der Heydt-Museum (Kunsthalle Barmen) Wuppertal, entsteht, ist die erste umfassende Werkschau zu den Arbeiten Cornelius Völkers.

Zur Ausstellung

Die Farbe in der ganzen Breite ihrer physikalisch möglichen Zustände und Erscheinungsformen dominiert das malerische Universum von Cornelius Völker. Glatt, teigig oder körnig, monochrom, voller Körper, aseptisch, zu weilen libidinös ist sie das Ereignis seiner Malerei. Seitdem Völker zu Beginn der Neunziger Jahre die Laufbahn als Maler einschlug, ist die Materialität der Farbe unverändert Kern seines Schaffens. Zyklischen Moden im Kunstdiskurs gegenüber blieb er gleichgültig. Die Bilder Völkers verbinden widersprüchliche malerische Modi, die sowohl dem Reich des Abstrakten wie der figurativen Tradition entstammen. Expressiver Gestus, Elemente aus dem Reich der Pop-Art, die Neuen Wilden, Barnett Newmann, Rupprecht Geiger .... die Bezüge sind vielfältig und verweisen auf ein reichhaltiges Repertoire, das, auf Distanz zu stilistischen Ideologemen, seine Souveränität aus der Eigenständigkeit schöpft.

Selten hat sich ein Künstler banalere Motive aus ihrem Kontext gezerrt, sie auf eine abstrakte Oberfläche, wie in einem Fotostudio, gebannt, und der Öffentlichkeit zur Schau gestellt. Cornelius Völker betreibt die Nobilitierung von MeerschweinchenBadeschlappen und Pullovern im großen Stil. Aus der Hingabe an die übersehenen Alltäglichkeiten entwickelt Völker seine Frage nach der Kraft der Malerei: »Wie viel kann die Malerei aushalten?« Das Motiv als Prüfstand für den Drahtseilakt zwischen Kunst und Dargestellten eröffnet eine Parallelwelt der Farbe, in der Völkers Motiven ein malerisches Äquivalent zu ihrer realen Stofflichkeit gegenübergestellt wird. Das Haar der Meerschweinchen erfährt seine Analogie im sichtbaren Pinselstrich, Schlieren von Ölfarbe ahmen das Wasser nach, in dem sich die Schwimmer bewegen.

Aber auch die Perspektive ist ein Balanceakt durch den Kosmos der Malerei. In der Nahsicht verlieren die großformatig abgebildeten Motive ihre Form, lösen sich auf in abstrakte Farbflächen, gehen über in reine Materialität. Im Innehalten zwischen Form und Auflösung entwickeln die Werke Völkers ihre Kraft. Die Serie Abfluss zeigt einen Strudel, dessen Konturen sich zersetzen im Sog der Malerei. Einem ähnlichen Wirbel wie der Zerfall entspringt, in umgekehrter Blickrichtung, das Werden in der Serie Bauchnabel. Auch in anderen Serien, etwa Handtaschen, Feinripp oder Pullover verselbständigen sich Inhalte mit dem Wechsel des Standortes zu abstrakten Partien, sie werden zum Bild im Bild. Die sorgsam gepflegte ideologische Trennlinie zwischen Figuration und Abstraktion lässt Völker ironisch hinter sich: Abstraktion ist eine Frage der Nähe, kein Grabenkampf, ein widerständiges Spiel von Formlosigkeit und Gestaltfindung.

Fragment und Serie sind bestimmende Elemente in Völkers Werken. Die gewählten Ausschnitte wirken oft ungewöhnlich: Körper ohne Kopf oder Extremitäten werden zu Torsi, die eine im Vordergrund stehende Bewegung, ein Requisit oder ein einzelnes Körperteil illustrieren. In der Reduktion auf das Wesentliche erschließt Völker nicht nur Pfade, die zur Abstraktion führen, die Entindividualisierung der Motive verschiebt die Aufmerksamkeit auf die Malerei an sich. In der Serie erst erschließt sich, ob ein Motiv wirklich bildtauglich ist, jenseits der Zufälligkeit seiner Entdeckung, jenseits auch der Peinlichkeiten, die Feinripp-Bildern, Gurkenmasken oder der Abbildung von Kotzenden potentiell innewohnen. Die Präsentation des Objektes ohne Raum und Kontext und das Gesetz der Serie ähnelt vorgeblich der kalten Empirie der Wissenschaft. Aber erst die malerische Genealogie der Gegenstände gibt den Weg frei für unbefangenen Vergleich, erlaubt der Malerei, sich selbst »vor(zu)führen«. Die absolute Rätsellosigkeit von Meerschweinchen oder Müll, männlichem Bauchansatz (in der Serie Mann) oder Staubsaugern erleichtert noch den Weg in die grundsätzliche Reflexion über Darbietung und ihren Gegenstand. In dieser, nicht im tagespolitischen Kommentar, liegt dann auch, in der Zeit einer immer größer werdenden Bilderflut, für Cornelius Völker eine gesellschaftliche Relevanz der Malerei begründet.

Ungeniert schöpft Völker aus dem reichhaltigen Fundus verschiedenster Traditionen, treibt das Spiel zwischen High- und Low-Culture mit Meerschweinchen oder Waffen ungerührt bis an sein groteskes Ende. In seinen Bildern finden sich mannigfaltige Referenzen zur Kunstgeschichte. Aber Völker zitiert nicht in seiner Auseinandersetzung mit den Vorbildern, er adaptiert ihre Themen, Motive und Gedanken und unterwirft sie seiner Logik. Denn Malerei ist für ihn ein ganz eigenes Unternehmen - ein »höchst individuelles, nichtkonformes, extravagantes und einzigartiges.«