Neustart in der Kunst

Franz Roh in der „Stunde Null“

Von Januar bis Mai 2025 beleuchtet das Kulturreferat mit dem Programm „1945–2025 Stunde Null? Wie wir wurden, was wir sind“ die Nachkriegszeit und ihre Auswirkungen auf die heutige Stadtgesellschaft. Koordiniert von der Abteilung "Public History München" des Kulturreferats der LH München.
Franz Roh, Die Trümmersymphonie, Fotorepro-Collage, ohne Datum, monogrammiert, Nachlass Franz Roh, Marion Grčić-Ziersch Kunsthandel München

Neuer Veranstaltungsort: Georg-Knorr-Saal in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Luisenstraße 33, 80333 München

Franz Roh (1890–1965) war als Kunsthistoriker, Kritiker, Kurator und nicht zuletzt als Künstler ein außergewöhnliches Multitalent. Ab 1933 musste er sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und war den Repressionen des NS-Regimes ausgesetzt. Die US-amerikanischen Besatzungsbehörden erkannten 1945 in ihm einen unbelasteten Ansprechpartner für die geplante »Reeducation«. Franz Rohs Rolle für Münchens Kulturszene der „Stunde Null“ wird von den Vortragenden in ihren unterschiedlichen Facetten beleuchtet. Die Tagung versteht sich auch als Auftakt für ein Forschungsprojekt zum Gesamtwerk Rohs, das in einer Ausstellung im Museum Villa Stuck 2028/29 münden wird.

PROGRAMM

13.00 Uhr
Begrüßung: Dr. Helena Pereña, Kuratorin Museum Villa Stuck

13.15 Uhr
Andreas Strobl: Was bisher geschah – Franz Roh im Jahr 1945
Wer war Franz Roh und wo stand er im Mai 1945? Studium der Kunstgeschichte in München, Arbeit an der Universität und dann als freier Publizist – der Fabrikantensohn Franz Roh aus Apolda wurde auf Grund seiner vielfältigen Interessen, seiner Aufgeschlossenheit der zeitgenössischen Kunst gegenüber aber auch auf Grund seiner politischen Einstellung zu einem der namhaften Kunstschriftsteller der Weimarer Republik. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war er gezwungen, sich als Privatgelehrter zurückzuziehen. Der Vortrag stellt als eine Einführung seine Schriften und künstlerischen Werke vor.

13.45 Uhr
Richard Hampe: Persönliche Gedanken zum Leben von Franz Roh um die „Stunde Null“
Für Franz Roh waren die beiden Jahrzehnte vor und nach 1945 vom Erwerb des Hauses in der Mustersiedlung Ramersdorf am damaligen Stadtrand Münchens und dem Leben dort geprägt. Hier konnte er sich zurückziehen in seine Arbeit in der „inneren Emigration“. Als 1945 seine erste Frau Hilde starb, begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt mit seiner zweiten Frau Juliane Bartsch. Der Vortrag wird seine Lebens- und Arbeitssituation in der Zeit der Verfolgung, den ersten Wochen und Monaten der Besatzung und in den Jahren des Wiederaufbaus beleuchten.

14.30 Uhr
Iris Lauterbach: Zeitgenössische Kunst am Central Collecting Point. Zum Wiederaufbau der Münchner Kunstszene
Der Vortrag gibt einen Einblick in die Bestrebungen der US-Militärregierung, am Münchner Central Collecting Point die zeitgenössische Kunst zu fördern. Hierzu gehörten die Ausstellung „Kunstschaffen in Deutschland“ (1949) und die Ausschreibung des Blevins-Davis-Kunstpreises (1949). Franz Roh brachte sich in diese Bemühungen ein.

15.00–15.30 Uhr Pause

15.30 Uhr
Andreas Zeising: „Die Kunstpädagogik muss wieder anknüpfen, wo sie durch Hitler abgebrochen wurde“. Franz Roh als Stimme im Münchner Rundfunk
Seit 1945 war Franz Roh für den unter alliierter Kontrolle betriebenen Sender Radio München tätig, wo er im wöchentlichen Turnus über das aktuelle Ausstellungsgeschehen berichtete. Nach den Erfahrungen der durch das NS-Regime als „Entartete Kunst“ diffamierte Moderne  galt es nach seiner Überzeugung, über Dynamiken des „Verkennens“ der modernen Kunst aufzuklären.

16.00 Uhr
Helena Pereña: Die Moderne im Widerstreit: Franz Roh und Hans Sedlmayr
Franz Roh und Hans Sedlmayr verkörpern zwei gegensätzliche Positionen in der kunsthistorischen Debatte der Nachkriegszeit. Während Sedlmayr in seinem einflussreichen Werk „Verlust der Mitte“ (1948) der modernen Kunst ihren künstlerischen Wert absprach und abstrakte Tendenzen verschiedener Epochen als Zeichen des Verfalls deutete, setzte sich Roh wie kaum ein anderer für die Gegenwartskunst ein. Mit seinen Interpretationsansätzen prägte Roh die moderne Kunstgeschichtsschreibung maßgeblich.

16.30 Uhr
Anna Rühl: „Gegenstandslose Kunst“ – Franz Roh im Kampf um die Kunst 1945 bis 1950
Im Nationalsozialismus war die abstrakte Kunst als „entartet“ verunglimpft worden. Um gemeinschaftlich neue Sichtbarkeit zu erlangen und zu einer moralischen Erneuerung beizutragen, schlossen sich in der Nachkriegszeit Kunstschaffende mit ihren Unterstützer*innen zusammen – am wirkungsvollsten in der Münchner Gruppe der Gegenstandslosen ZEN 49. Franz Rohs Schriften aus der Zeit erzählen die Geschichte eines Kampfes um Vielfalt, Mehrdeutigkeit und Akzeptanz. 

17.00–17.30 Uhr Pause

17.30 Uhr
Andreas Heusler: Eine neue Kunstpolitik der Stadt München
Angesichts weitreichender kriegsbedingter materieller Zerstörungen, einer dysfunktionalen Infrastruktur und existenzbedrohender Versorgungsnöte schien die Bedeutung kultureller Selbstvergewisserung und künstlerischer Artikulation in München nachrangig. Doch gerade nach der gewaltgeprägten Erfahrung der NS-Diktatur– auch in der Kultur – kam der Besetzung ästhetischer Freiräume große Bedeutung zu – nicht zuletzt hinsichtlich einer an freiheitlichen Werten ausgerichtete Neuorientierung der Stadtgesellschaft. Der Vortrag beleuchtet die begrenzten kommunalen Möglichkeitsräume jener Jahre und skizziert die Spannungsfelder, mit denen sich künstlerisch-kulturelles Handeln arrangieren musste.

18.00 Uhr Gemeinsame Schlussdiskussion
Moderation: Felix Billeter und Christiane Zeiller


Die Vortragenden und Beteiligten:

Dr. Felix Billeter, Kunsthistoriker, Fürstenfeldbruck. Nach dem Studium der Kunstgeschichte tätig an Universitäten und Archiven, Verfasser zahlreicher Werkverzeichnisse und Editionen, zuletzt zu den Schriften Max Klingers; Forschungsprojekt Franz Roh.

Dr. Richard Hampe, Mediziner, Neffe von Franz Roh. Aufgewachsen in Berlin. 1965–1971 Studium der Humanmedizin mit anschließender Promotion an der LMU München, nach Facharztausbildung in Frauenheilkunde und Geburtshilfe ab 1978 bis 2010 gynäkologische Praxis in München. Seit der Studentenzeit wohnhaft im Hause Roh in München-Ramersdorf. Seit dem Tod von Juliane Roh 1987 Nachlassverwalter von Juliane und Franz Roh.

Dr. Andreas Heusler, Historiker, München. Studium der Geschichtswissenschaften und Politikwissenschaft in Tübingen und München. 1994–2021 Leitung des Sachgebiets Zeitgeschichte/Jüdische Geschichte am Stadtarchiv München. Seit 2022 kommissarische Leitung bzw. stellvertretende Abteilungsleitung von Public History München im Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zur Stadtgeschichte, zur jüdischen Geschichte, zur Exilforschung und zur Erinnerungskultur.

Prof. Dr. Iris Lauterbach, Kunsthistorikerin, München. Studium der Kunstgeschichte und der romanischen Philologie in Mainz, Pavia und Paris. Promotion mit einer Arbeit über französische Gartenkunst des 18. Jahrhunderts. 1991–2025 Forschungsreferentin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München. Seit 2012 Honorarprofessorin der TU München. Forschungen zur Geschichte der europäischen Gartenkunst vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, zu Architektur und Stadtplanung im Nationalsozialismus und zum Central Collecting Point München.

Dr. Helena Pereña, Kunsthistorikerin, München. Kuratorin und Leitung der Ausstellungsabteilung des Museums VILLA STUCK. Sie studierte Kunstgeschichte und Philosophie in Madrid und München und promovierte mit einer Arbeit über Egon Schiele. Bis 2020 war sie als Kuratorische Leiterin der Tiroler Landesmuseen in Innsbruck tätig, davor kuratierte sie Ausstellungen in Deutschland und Österreich. Schwerpunkt ihrer Ausstellungs- und Publikationstätigkeit ist die Kunst des 19. bis 21. Jahrhunderts sowie Kunst- und Museumstheorie

Dr. Anna Rühl, Kunsthistorikerin, München. Kuratorin der Fritz-Winter-Stiftung an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Politikwissenschaft und Publizistik in Berlin und München wissenschaftliches Volontariat an der Neuen Sammlung, den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und dem Bayerischen Nationalmuseum. Ausstellungen und Publikationen vornehmlich zur abstrakten Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.

Dr. Andreas Strobl, Kunsthistoriker, München. Nach dem Studium der Kunstgeschichte tätig als freier Publizist, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum Georg Schäfer, Schweinfurt, Kustos des Kupferstichkabinetts der Kunsthalle Bremen und Konservator für die Kunst des 19. Jahrhunderts an der Staatlichen Graphischen Sammlung München; Forschungsprojekt Franz Roh.

Dr. Christiane Zeiller, Kunsthistorikerin, München. Studium der Kunstgeschichte. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max Beckmann Archiv der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Kuratorische Mitarbeit an zahlreichen Ausstellungen und Editionen, zuletzt der Tagebücher von Max Beckmann; Forschungsprojekt Franz Roh.

Prof. Dr. Andreas Zeising, Kunsthistoriker, Dortmund. Apl. Professor am Seminar für Kunst und Kunstwissenschaft der TU Dortmund. Volontariat am Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Hochschultätigkeiten in Bonn, Bremen, Dortmund, Düsseldorf, Siegen und Wuppertal. Forschungen u. a. zur Mediengeschichte des Populären, zur Geschichte der Kunstkritik und zur Radiokunstgeschichte.