Zum Start der Jubiläumsfeierlichkeiten im März zieht Franz von Stucks berühmte pfeilschießende Amazone aus dem Vorgarten zurück in das Ateliergebäude; sie war der Anlass für den Bau des Neuen Ateliers 1914/15.
Es ist die weit vor der Museumsgründung liegende Schaffensperiode Stucks, die in seinem ehemaligen Atelier mit einer Überblicksausstellung seiner Skulpturen und Malerei das Jubiläumsjahr eröffnet. Im »White Cube« des Ateliergebäudes wird ein neuer, frischer Blick die Werke Stucks in die Gegenwart transformieren. Eines der größten Künstlerateliers seiner Zeit wird damit erstmals in seiner ursprünglichen Funktion und Disposition gezeigt. Die riesigen Nordlichtfenster werden geöffnet und erhellen die Atelierräume, ebenso wie der Zugang zur gartenseitigen Terrasse und alle Fenster im Verbindungsbau.
Erfolg und die Aussicht auf Großaufträge bewogen Stuck zum Bau eines großen Ateliergebäudes, das einen neuen und in seiner Zeit außergewöhnlichen, noch nie gesehenen Bautypus darstellte. Während Stuck im Auftrag der Stadt Köln die Großplastik der Speerschleudernden Amazone 1912/13 noch im Gigantensaal der Münchner Akademie modellierte, plante er den Neubau als harmonische Ergänzung seiner Künstlervilla und erregte mit dessen architektonischer Qualität und räumlicher Dimension Aufsehen.
Der Universalkünstler Franz von Stuck hatte als 34-jähriger Maler, Bildhauer und Graphiker nach eigenen Entwürfen seine außergewöhnliche Künstlervilla errichtet. Sein Atelier befand sich im Zentrum des Hauses und signalisierte damit seine Bedeutung als »Heiligtum des Hauses, von tempelhafter Feierlichkeit«. Wie ein Festsaal ausgestattet, diente das Alte Atelier zunächst als Künstleratelier, gewann aber zunehmend als repräsentativer Verkaufs- und Ausstellungsraum sowie Bankettsaal an Bedeutung.
Mit dem Bau des Neuen Ateliers als freistehendem Gebäude vollzog Franz von Stuck 1914/15 einen radikalen Schritt. Nur wenige zeitgenössische Quellen sind zum Bau des Ateliergebäudes erhalten, der zwei Wochen vor Ausbruch des 1. Weltkrieges begonnen wurde. »Der letzte Arbeitsraum Stucks: sicher, auf der ganzen Welt wird kein solches Atelier mehr zu finden sein. 18 Meter lang und breit, mit gedämpftem Oberlicht, das Bildhaueratelier von derselben Größe«, so schrieb ein Journalist 1928.
Als großzügiger, weißer Arbeitsraum modernster Art geplant, war es seiner Zeit weit voraus. Stuck suchte in seinem Atelier nicht mehr den farbig lodernden Hintergrund als Inspirationsquelle für seine Werke, sondern bevorzugte einen lichtdurchfluteten, perfekt proportionierten neutralen Werkstattraum. Auf dem Ideal eines quadratischen Grundrisses entstanden ein Skulpturenatelier im Erdgeschoss und ein riesiger, gewölbter, sieben Meter hoher Kuppelsaal mit Oberlichtfenstern als Malatelier im Obergeschoss.
Als Vertreter einer Kunst an der Schnittstelle von Malerei und Fotografie, für die er bisweilen selbst als Modell posierte, betrieb Stuck mit seiner Ehefrau im Keller ein eigenes Fotoatelier. Eine feuchte Tongrube bot Material für plastische Werke. Der Innenraum des Neuen Ateliers steht im Kontrast zu den reich gegliederten Fassaden im neoklassizistischen Stil. Pilaster in Kolossalordnung, geometrische Wandfelder und Reliefs der Vier Elemente sowie Lorbeerbäume und Kandelaber schmücken den Außenbau. Die Fassaden wirken dennoch streng und sachlich und betonen die Funktion des Gebäudes als Werkstatt.
1928 erhielt Stuck für den Bau seiner Villa und des Neuen Ateliers die Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule München verliehen. Der Künstler wurde von seinen Zeitgenossen auch als Architekt hochgeschätzt. Bereits Wilhelm Kreis betonte 1909 die Wirkung des Gebäudeensembles auf die Architektur der frühen Moderne.
Die Ausstellung im ehemaligen Skulpturenatelier bietet die bislang umfassendste Schau zum plastischen Werk Franz von Stucks, das vom Nautiluspokal bis zum unbekannten, expressionistisch anmutenden Spätwerk reicht. Im Zentrum steht die Großplastik der Speerschleudernden Amazone. Bronzeplastiken in verschiedenen Oberflächenzuständen, farbig patiniertem Gips sowie unbekannte Bozzetti aus Stucks letzten Lebensjahren geben Einblick in den künstlerischen Entstehungsprozess. Hinzu kommen farbig gefasste Reliefs und die frisch restaurierten Originalentwürfe der Vier Elemente, die als Bauplastik die Nordfassade des Neuen Ateliers schmücken. Damit ergänzt die Ausstellung den skulpturalen Bestand von Villa, Neuem Atelier und Künstlergarten.
Anlässlich des Jubiläums kehrt auch der Abguss eines römischen Rehs aus dem antiken Herculaneum (Original: Neapel, Museo Archeologico Nazionale), das einst den Rasen der Villa schmückte, dauerhaft in den Vorgarten des Neuen Ateliers zurück.
Die neue Präsentation im ehemaligen Malatelier zeigt die künstlerische Bandbreite des Malers Franz von Stuck, der zu den großen Bilderfindern seiner Zeit gehört: mythologische Darstellungen, in deren Zentrum Archetypen von überzeitlicher Gültigkeit stehen, religiöse Darstellungen sowie Porträts, Landschaften im charakteristischen Gegenlicht und Plakatentwürfe.
Der ungewöhnliche Einsatz intensiver Farbigkeit, starke Hell-Dunkel-Kontraste und die Reduktion auf wenige Figuren von silhouettenhafter Wirkung begründen die spektakuläre Wirkung seiner Kompositionen seit den Anfängen seiner Karriere in München, Wien, Chicago und St. Petersburg bis zur Biennale in Venedig 1909. Stucks symbolistisches Œuvre ist eine »Quelle unerschöpflichen Reichtums«. Die Ausstellung macht es möglich, in den geistigen Kosmos eines europäischen Künstlers um 1900 einzutauchen.
Einem Glücksfall ist es zu verdanken, dass das Gebäudeensemble Villa Stuck heute noch existiert. Nach dem Tod des Malerfürsten 1928 durchlief das von seinen Zeitgenossen als »moderne Sensation« gefeierte Gesamtkunstwerk Villa Stuck eine höchst wechselhafte Geschichte vom Künstlerhaus zum Museum. Zu dieser Geschichte gehören: Eine Versteigerung 1929, illustre Kaufinteressenten wie der frisch gekürte Oskarpreisträger Emil Jannings, der Einzug der Akademie für Tonkunst (1946–57) und bedeutende Nachkriegsgaleristen von Günther Franke über Otto van de Loo bis Gunther Sachs' Modern Art Museum. Spektakuläre Umbaupläne und sogar der mögliche Abriss prägten die öffentliche Diskussion über das »Schicksal« des Hauses. Schließlich geschieht die entscheidende Wende: der Verkauf durch die Familie Stuck, die Rettung durch den Mäzen Hans-Joachim Ziersch 1965 und die Wiedereröffnung der Villa Stuck als Museum am 9. März 1968.
Unveröffentlichte Fotografien und Architekturpläne, Zeitungsartikel und ein Film (Archiv des Bayerischen Rundfunks) eröffnen in der aktuellen Ausstellung erstmals schlaglichtartig einen Blick auf die bisweilen dramatischen Ereignisse um das Schicksal dieses Kulturprojekts zwischen 1929 und 1968.