Bodys Isek KingelezExtreme Modelle -

Bodys Isek Kingelez, Ville Fantôme © C.A.A.C. - The Pigozzi Collection - Geneva

In der umfassenden Retrospektive „Bodys Isek Kingelez – Extreme Modelle“ zeigt das Museum Villa Stuck architektonische Visionen des Künstlers Bodys Isek Kingelez aus Kinshasa, Kongo. „Extreme Modelle“ nennt der 1948 in Kongo/Zaire geborene Kingelez seine aus Pappe, Folie oder Verpackungsresten hergestellten Entwürfe von Gebäuden und ganzen Stadtanlagen.

„Kinshasa La Belle“, „Palais d`Hiroshima“ oder „Ville Fantôme“ hat Kingelez einige seiner Werke getauft – insgesamt 17 Einzelstücke und drei Städte sind nun zum ersten Mal in München zu sehen. In seinen kühnen Panoramen verschmelzen Farben und Muster mit futuristischem Design, fügen sich unterschiedliche europäische Architekturstile - Neogotik, Moderne, Postmoderne – mit afrikanischen, orientalischen oder asiatischen Elementen zusammen.

Seine Miniaturarchitekturen reflektieren mehr als die postkoloniale Modernisierung auf dem afrikanischen Kontinent, sie entwickeln Visionen gegen gesellschaftliche Disharmonien und urbane Aporien. Sie behandeln das schwierige Verhältnis von sozialer Realität und Fantasie und erzählen vom utopischen Traum urbaner Harmonie, von emotionalen Sehnsüchten, die in den Metropolen der Welt reifen. „Dank meiner tiefen Hoffnung auf ein glückliches Morgen strebe ich“, so Kingelez, „ nach einer qualitativen Verbesserung, wo das Bessere gleichzeitig auch das Wunderbare wird.“ Der Künstler-Architekt, der Afrika im Jahr 1989 das erste Mal verließ, hat weder Kunst noch Architektur studiert. Heute ist er einer der bekanntesten Künstler Afrikas. Seine Inspirationen schöpft der 53-Jährige aus „großen Gedanken, aus den Bewegungen der Imagination“. Daraus entstehe die Kunst, das „hohe Wissen“ und „größte Abenteuer“. Er füllt die expansive Leere westlicher architektonischer Formen mit Bildern aus dem Reich des Visionären und Wunderbaren. Er steht für eine Erneuerung der Moderne – für die Überwindung der Dissonanzen moderner Lebenswelt aus dem Geist der Kunst.

Die Idee vom Gesamtkunstwerk, der Einheit von Kunst und Leben ist wesentlich für Bodys Isek Kingelez und verbindet sein Werk mit dem Maler-Architekten Franz von Stuck. Mit der Ausstellung knüpft das Museum Villa Stuck an sein erfolgreiches Projekt zum Verhältnis von Afrika und Modernismus, The Short Century. Independence and Liberation Movements in Afrika 1945-1994, an. Die Auseinandersetzung mit architektonischen Positionen innerhalb der Kunst steht im Museum Villa Stuck ebenfalls in guter Tradition. Zu nennen sind u.a. die Ausstellungen von Sol LeWitt, Dan Graham und die Präsentation der interdisziplinären architektonischen Entwürfe von Theo van Doesburg im Jahr 2000.

Zur Ausstellung

Unter den afrikanischen Künstlern, die in der internationalen Kunstszene präsent sind, sticht der Kongolese Bodys Isek Kingelez durch sein eigenwilliges Werk und seine Theorie besonders hervor. Seines Zeichens „Entwerfer, Architekt, Modellbauer, Ingenieur, Künstler“ zugleich, hat er bis zum heutigen Tag mehr als 3000 architektonische Simulationen mit fortlaufender Nummer, Datum und Titel realisiert. Jenseits der „Grenzen des akademischen Wissens“ habe er gearbeitet: „Die Kunst ist ein seltenes Ergebnis großer reflexiver Werte, begleitet von ernsthaften Bewegungen der Imagination, wobei sich ihr „Schöpfer“ den Versprechen der teuersten Opfer für eine ... hoffnungsfrohe Zukunft widmet.“ Es gibt keinen Tod der Kunst für Bodys Isek Kingelez, im Gegenteil: Kunst ist „...eine unvermeidbare Notwendigkeit, ein Fortschritt, der die Bedeutung einer Person, einer Sitte oder einer Stadt in einer harmonischen Entwicklung kennzeichnet.“ Kunst, die „Mutter der Wissenschaften“ diene der „individuellen und kollektiven Erneuerung des Modernismus“.

Dabei unterwirft sich Kingelez, der zwischen 1978 und 1984 als Restaurator im Nationalmuseum von Kinshasa gearbeitet hat, nicht traditionellen Mustern. Seine Simulationen entspringen dem reflexiven Blick auf eine Moderne, die aber Reichtümer der Tradition nicht preisgibt. Die Modelle implizieren eine Verpflichtung zum wechselseitigen und kulturimmanenten Dialog, seine frühen Arbeiten können als afrikanische Aneignung und Neuinterpretation der Sprache des Postmodernismus gesehen werden. 

Sprachliche Verortungen sind allerdings keine ausreichenden oder gar adäquaten Mittel der Klassifizierung von Kingelez Werk, eher entspricht der Dynamik und Vielschichtigkeit der EXTREMEN MODELLE eine Interpretation verschiedener Ebenen, Sphären und Perspektiven. So können die urbanen Visionen als Reaktion auf die Rezeption des Modernismus in Afrika betrachtet werden. Sie sind denkbar als „...Antwort auf die Uniformisierung dessen, was vom Westen als afrikanischer Ausdruck erklärt worden ist. “ ( Jean-Marc Patras ). Sie spielen mit den Grenzen der Technologie und dem Schein einer imaginären Architektur der Zukunft. Und sie rücken  Ausgrenzungen der offiziellen Raumordungsdiskurse in das Blickfeld. Okwui Enwezor sieht das Reale im Fantastischen, betont: 
„... dass Kingelez Strukturen auf einer technischen Ebene gar keine Fantasien darstellen...an allen Ecken Afrikas werden sie nämlich täglich von Hauseigentümern gebaut, die so genannte Architekten übergehen und sich mit Hilfe von technischen Zeichnern neue Paläste entwerfen, die zu ihren ausgefallenen Träumen passen. Was aber ist von einer derartigen Architektur zu halten, die sich in zahlreichen afrikanischen Städten stark verbreitet, ohne dass sie Initiatoren hätte oder einen Ort im Diskurs des globalen Urbanismus?“ Kingelez transportiere „... eine Sichtweise von Architektur und Urbanismus von den Rändern der offiziellen Kultur her, die fantasievoll und real ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

Biographie

Bodys Isek Kingelez wurde 1948 in Kimbenbele-Ihunga, Kongo geboren. Er lebt und arbeitet in Kinshasa. Seine künstlerische Karriere begann in den 80er-Jahren, während er als Restaurator für Masken am National-Museum in Kinshasa arbeitete. Hier erlernte er die Techniken für seine späteren pseudo-architektonischen Strukturen. Fantasievoll und farbenreich, wie auch technisch komplex, brachten diese Arbeiten Kingelez schnell internationale Aufmerksamkeit, insbesondere nach seiner Teilnahme an der 1989 im Pariser Centre Georges Pompidou gezeigten Ausstellung „Magiciens de la Terre“.

Einzelausstellungen (Auswahl)

2001 „Bodys Isek Kingelez“, Kunstverein in Hamburg

1996 „D’autres Ajouts d’Eté, Bodys Isek Kingelez“, Musée d’Art Moderne et Contemporain, Geneva

1992 „Bodys Isek Kingelez“, Haus der Kulturen der Welt, Berlin

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2001 – 2002 „The Short Century“: Museum Villa Stuck, München / Haus der Kulturen der Welt, Berlin / Museum of Contemporary Art, Chicago / P.S.1 - The Museum of Modern Art, New York

2000 Biennale, Sydney, “Mirror’s Edge”: BildMuseet, Umeå

1998 ”Unfinished Story”: Walker Art Centre, Minneapolis

1997 Kwangju Biennale, South Korea, “Projects 59: Architecture as Metaphor”: The Museum of Modern Art, New York

1994 “Crudo y Cocido”: Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid

1993 “Home and the World. Architectural Sculpture by two African artists”: The Museum for African Art, New York

1992 “Out of  Africa”: Saatchi Gallery, London

1991 “Africa Hoy Africa Now”: Centro de Arte Moderna, Las Palmas de Gran Canaria

1989 „Magiciens de la Terre“: Centre Georges Pompidou, Paris

Kingelez Arbeiten befinden sich in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen, z.B. der Fondation Cartier pour l’Art Contemporain, Paris, Institut des Musées Nationaux du Zaïre, Kinshasa, und C.A.A.C. – The Pigozzi Collection, Genf.

Chronologie: Kongo (Zaire)

1885 Auf dem Gebiet der einst mächtigen Königreiche der Kongo, Luba und Lunda gründet Belgien den „Unabhängigen Kongostaat“ als Privatbesitz der Krone. Beginn der 75-jährigen belgischen Herrschaft.

1959 Fünfzig Tote bei antikolonialistischen Demonstrationen in Leopoldville (heute: Kinshasa). Unruhen in ganz Belgisch-Kongo.

1960 Belgisch-Kongo wird unabhängig. Meutereien des Militärs, Intervention Belgiens, die Provinz Katanga spaltet sich ab. Premierminister P. Lumumba ersucht um UN-Truppen. Oberst J.-D. Mobutu vertreibt Lumumba.

1961 Lumumba wird nach Festnahme in Katanga ermordet.

1963 UN-Truppen erobern Katanga.

1964 UN-Truppen verlassen den Kongo.

1965 General Mobutu kommt durch einen Putsch an die Macht. Hinrichtung politischer Gegner und Einführung des Einparteiensystems.

1970 Präsident Mobutu beginnt „Authenticité“-Kampagne, nennt das Land in Zaïre um und ordnet an, alle sichtbaren Symbole der Kolonialisierung zu entfernen. Joseph-Désiré Mobutu bezeichnet sich von nun an als Mobutu Sese-Seko. 

1980er-Jahre Korruption Mobutus führt zu wirtschaftlichem Niedergang.

1996 Aufstand der Banyamulenge-Tutsi gegen die Zentralregierung.  Unterstützt durch Angola, Ruanda, Burundi und Uganda erobern die Rebellen L. Kabilas  weite Teile des Landes.

1997 Mobutu Sese-Seko wird nach über drei Jahrzehnten der Herrschaft von den Rebellen vertrieben. Das Land wird in Demokratische Republik Kongo umbenannt.

1998 Beginn neuer Rebellion, von Ruanda und Uganda unterstützt.

2001 16. Januar: Tödliches Attentat auf Präsident L. Kabila. Nachfolger: Sohn Joseph Kabila

(Quellen: www.auswaertiges-amt.de / Länderinfo / Stand: 1.2002 und „The Short Century“, Museum Villa Stuck, 2001)