Claudia de la Torre begann 2013 das fortlaufende Projekt „The Questions Library“ (dt. Bibliothek der Fragen), für das sie Bücher sammelt, klassifiziert und ausstellt, deren Titel als Fragen formuliert sind. In dieser aktuell 530 Titel umfassenden Bibliothek befinden sich Veröffentlichungen aller denkbarer Genres und Gattungen – sei es fiktionale oder nichtfiktionale Literatur, darunter etwa Selbsthilfebücher, Bücher zu Religion oder Philosophie. Ein Blick auf die Rücken verrät, was diese Bücher gemeinsam haben: Ihre Titel sind als Fragen formuliert, die beispielsweise rhetorischer Natur sind oder die sich auf einen Ort oder eine bestimmte Zeit beziehen. Aber nicht alle diese Fragen können per se beantwortet werden, und einige stellen sich sogar selbst infrage. Die einzelnen Bücher sind Mittel des künstlerischen Ausdrucks und zugleich Readymade-Objekte.
Normalerweise werden Bibliotheken aufgesucht, um Antworten zu finden. Hier begegnen den Lesenden zunächst nur Fragen. Zugleich befragen sich die Bücher auch gegenseitig und treten in einen Dialog. Jeder Frage folgt eine weitere, und in von der Künstlerin bestimmten Systematiken entfaltet sich eine eigene Narration. Diese wird in der Benutzung durch die Lesenden wiederum aufgebrochen, wenn etwa einzelne Bücher nach der Lektüre an einen anderen Platz im Regal zurückgestellt werden. Die Bibliothek wird zu einem lebendigen Ort, der sich ständig verändert und neu sortiert. Sie ist auch ein Raum, der grundlegend den Zweck des Lesens und die Motivation, Bücher zu machen, thematisiert.
Vor jeder Präsentation von „The Questions Library“ wird der Bestand durch einen Open Call erweitert, so auch dieses Mal. Der Aufruf richtet sich an alle: Interessierte werden eingeladen, Bücher zu spenden, deren Titel eine Frage enthält. Die Öffentlichkeit wird so miteinbezogen, wird Teil der Arbeit und trägt aktiv zur Bibliothek bei. Jedes neue Buch katalogisierte, stempelte und verzeichnete De la Torre während einer Performance anlässlich der Eröffnung. Die Bibliothek wird im Laufe der Präsentation weiterwachsen, da während dieser Zeit weiterhin Spenden von Büchern angenommen werden. So expandiert die Bücher-Sammlung stetig, weist über übliche Anordnungen wie auch über das Quijotistische und Selbstreferenzielle hinaus.
Zu jeder Präsentation der Installation gibt Claudia de la Torre ein Begleitheft heraus, das Besucher*innen mitnehmen können. Es versammelt alle bisher in der Bibliothek vorhandenen Bücher und listet die Titel mit zugeordneten Kategorien und Nummern. Die Bücher sind chronologisch geordnet, so wie sie in die Bibliothek gelangt sind, und zeigen das Klassifizierungssystem, zu dem sie gehören. Darüber hinaus veröffentlicht De la Torre nach jedem erneuten Ausstellen ein Künstlerinnenbuch. Dieses schwarz-weiße Taschenbuch enthält alle neu in die Bibliothek aufgenommenen Bücher, die so angeordnet sind, dass sie beim Lesen eine eigene Mikro-Geschichte erzählen: Ein Titel hängt mit dem nächsten zusammen. Die beiden Publikationen sind verschiedene Arten von Verzeichnissen der Bibliothek – und zudem eigenständige künstlerische Werke.
Über die Künstlerin
Claudia de la Torre (geb. 1986 in Mexiko-Stadt) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte Bildende Kunst an der Escuela Nacional de Pintura, Escultura y Grabado „La Esmeralda“ in Mexiko-Stadt und schloss ihr Masterstudium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Silvia Bächli ab. Sie hatte zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, unter anderem in der Kunsthalle Zürich und der Kunsthalle Wien. Im Jahr 2011 gründete De la Torre als Erweiterung ihrer künstlerischen Praxis backbonebooks, einen Verlag, der als Plattform für die Veröffentlichung und Konzeption von Künstler*innenbüchern dient.
Die Arbeit von Claudia de la Torre geht vom Buch als Konzept und als Möglichkeit aus. Sie untersucht die Strukturen und Beziehungen von Oberfläche, Form und Ideen. Ihre Arbeit bewegt sich an den Rändern von Printmedien, Künstler*innenbüchern und Installationen.
Über die Reihe
Claudia de la Torres „The Questions Library“ ist die zweite Bibliothek einer Reihe von Sabine Schmid, in der verschiedene Bücher-Sammlungen im Leseraum der Goethestraße 54 zu Gast sind.
Aktuell ist die von Annette Gilbert kuratierte „Library of Artistic Print on Demand“ zu sehen. Dieses aus einem Forschungsprojekt hervorgegangene Konvolut beinhaltet Arbeiten von Künstler*innen, Gestalter*innen und Schriftsteller*innen, die ihre Projekte allesamt als Print-on-Demand veröffentlicht haben. Bei dieser Produktionsmethode treffen günstigere Drucktechniken auf die Möglichkeiten des globalen Online-Handels. Dieses „Drucken auf Nachfrage“ ermöglicht es prinzipiell allen, Bücher zu veröffentlichen, ohne dafür auf einen Verlag angewiesen zu sein und ohne große finanzielle Risiken eingehen zu müssen.
Im Anschluss an Claudia de la Torres Projekt werden Bilderbücher für Kinder zu sehen sein, die an Themen und Motive im Museum anknüpfen und darüber hinausweisen. In einzelnen Kategorien gruppiert, werden Bücher zu verschiedenen Schwerpunkten gezeigt, darunter Bücher, die bildende Künstler*innen gemacht haben, oder Lebensgeschichten von Künstler*innen. Die ausgewählten Bilderbücher erzählen nicht nur spannende, fantastische und poetische Geschichten aus allen Teilen der Welt – sie wollen auch durch kunstvolle Illustrationen und realitätsnahe Perspektiven alle Menschen und Altersgruppen gleichermaßen einbeziehen und ansprechen.
Auf bestimmte Themen und Fragen fokussiert, laden alle diese Projekte zum Lesen und Stöbern vor Ort ein und fragen: Was kann eine Bibliothek sein? Wie kommt ein Buch in eine Bibliothek? Welche Sinnzusammenhänge können hergestellt werden? Welches Medium ist eine Bibliothek? Kann es sich um ein Kunstwerk handeln?
Öffentliche Bibliotheken sind Gedächtnisinstitutionen, Wissensspeicher und Orte, die von physischer Präsenz geprägt sind. Im digitalen Zeitalter lassen sie über Veränderung im Umgang mit und in der Nutzung von Büchern als Objekte und Bibliotheken als Räume nachdenken.
Lesegruppe
Etwa alle vier Wochen trifft sich eine Lesegruppe, um in Büchern der Bibliothek zu lesen und darüber zu sprechen. In einem gemeinsamen Austausch beschäftigen wir uns mit unterschiedlichen Texten und Textformen. Vorab erhalten Sie Texte, die Sie vorbereitend lesen können. Wir lesen sie aber auch gemeinsam während des Treffens in Auszügen, um das Gespräch zu unterstützen.
Wenn Sie teilnehmen möchten, schicken Sie uns eine Mail an lesegruppe.villastuck@muenchen.de, damit wir Ihnen die Texte und zusätzliche Informationen zusenden können.
Die Lesegruppe schließt an die INCOMPLETE READING GROUP an, ein Format, das Christina Maria Ruederer 2021 für die Lothringer 13 Halle entwickelt hat. Sie adaptiert dieses Format in Zusammenarbeit mit Sabine Schmid nun für die jeweilige Bibliothek, die im Leseraum zu Gast ist.
Credits
Künstlerin: Claudia de la Torre
Kuratorin der Reihe: Dr. Sabine Schmid
Ausstellungsgrafik: Michael Taschinski
Raumgestaltung: ansa studios
Ausstellungstechnik: Christian Reinhardt mit James Khan und Patrick Matthews
Aufbauteam: Tommy Jackson und Till Rentrop
Praktikant: João Pedro Polezi
Texte: Claudia de la Torre und Sabine Schmid
Lektorat: Tina Rausch (D) und Sarah Trenker (E)
Druck: Laimprenta, Valencia
Dank: Christian Reinhardt, Christina Maria Ruederer, Daniel Dell, Helena Pereña, Hendrik Bündge, James Khan, João Pedro Polezi, Michael Buhrs, Michael Taschinski, Nikolaus Steglich, Oscar Nicod, Patrick Matthews, Sarah Trenker, Till Rentrop, Tina Rausch, Tommy Jackson, Velichka Dyulgerova