Hans Christiansen (1866–1945)Gesamtkunstwerker des Jugendstils -

Hans Christiansen, Der Kuss, Titelblatt der Jugend, 1897 © Museum Villa Stuck

Mit seinen wegweisenden Coverillustrationen für die Münchner Zeitschrift »Jugend« prägte Hans Christiansen früh und nachhaltig das Bild des Jugendstils in Deutschland. In Paris avancierte er zum international tätigen Künstler mit Verbindungen bis nach Sankt Petersburg und wurde 1899 von Großherzog Ernst Ludwig nach Darmstadt berufen. Hier gehörte er mit Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens zu den ersten sieben Mitgliedern der Künstlerkolonie. Auf der Mathildenhöhe tat Christiansen sich als genuiner Gesamtkunstwerker in Malerei, Architektur und angewandter Kunst sowie als virtuoser Gestalter von Lichterfesten hervor. Die erste Retrospektive überhaupt zu Hans Christiansen zeigt die ganze Bandbreite dieses vielseitigen Künstlers: vom Hamburger Frühwerk bis zum Wiesbadener Spätwerk. Präsentiert werden unter anderem sein Haus auf der Mathildenhöhe, Zimmereinrichtungen, Glasfenster, Schmuck, Plakate, Gemälde, Zeichnungen, Textilkunst und Keramik, aber auch bislang Unbekanntes wie seine Mode- und Plakatentwürfe aus den 1920er-Jahren. Hans Christiansen zählt zu den markantesten Vertretern des Jugendstils, insbesondere mit seinen Entwürfen auf dem Gebiet des Kunstgewerbes. Sein OEuvre ist das virtuose Ergebnis einer Vielzahl von Inspirationsquellen: sie reichen vom Kunstgewerbe des späten 19. Jahrhunderts über die Glasfenster von Louis Comfort Tiffany und japanische Farbholzschnitte bis zu Toulouse-Lautrecs Plakatkunst und der Malerei der Nabis.

Spätestens in seinem Pariser Schaffen lässt Christiansen die Tradition seiner Hamburger Jahre hinter sich. Er findet eine neue, eigenständige Formensprache, die dem Jugendstil insgesamt zum Durchbruch verhilft. An der ersten Ausstellung der Künstlerkolonie Darmstadt »Ein Dokument deutscher Kunst« 1901 ist er umfassend beteiligt, unter anderem mit seiner Villa »In Rosen«. Dieses Gesamtkunstwerk fällt 1944 dem britischen Luftangriff auf Darmstadt zum Opfer. In der Ausstellung kann es jedoch mit einem Modell und Teilen der Originalausstattung dokumentiert werden. Auch international ist Hans Christiansen in diesen Jahren auf Erfolgskurs und nimmt an den Weltausstellungen von Paris 1900 und St. Louis 1904 teil. Bis 1911 lebt und arbeitet er in seinem Haus auf der Mathildenhöhe Darmstadt.

Seine Bekanntheit weit über die Landesgrenzen hinweg findet 1933 ein jähes Ende: Ausstellungen und Veröffentlichungen sind ihm wegen seiner jüdischen Ehefrau nicht mehr erlaubt. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs stirbt Christiansen im Alter von 78 Jahren in Wiesbaden an einer Lungenentzündung. Sein Werk ist zuvor schon in Vergessenheit geraten. Zwar holt ihn vierzig Jahre nach seinem Tod ein Werkverzeichnis ans Licht der Kunstwissenschaft, doch steht der »Erstberufene« der Mathildenhöhe Darmstadt bis heute im Schatten seiner Zeitgenossen Henry van de Velde, Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens.

Diese bedeutende Werkschau zu Hans Christiansen ist ein gemeinsames Projekt von vier deutschen Institutionen, die sich die Pflege des kulturellen Erbes um 1900 – den Aufbruch in die Moderne – zur Aufgabe gemacht haben. Den Auftakt machten die Mathildenhöhe Darmstadt und das Berliner Bröhan-Museum. Nach der Ausstellung in der Münchner Villa Stuck wird die Tournee kurz vor dem 150. Geburtstag des Künstlers auf dem Museumsberg Flensburg enden und den Pionier der »Jugend« sowie den Gesamtkunstwerker des Jugendstils in seiner Heimatstadt würdigen.

Leben und Werk

Hans Christiansen war einer der vielfältigsten Künstler seiner Zeit. Ganz im Geiste des Jugendstils verstand er sich als Universalkünstler: Sein Schaffen umfasst Gemälde, Möbel, Glasfenster, Plakate, Gläser, Keramik und Mode. Die Entwürfe sind Musterbeispiele des deutschen Jugendstils.

Der gebürtige Flensburger verbrachte prägende Jahre in Hamburg und Paris und wurde bald zum gefragten Künstler. Als Vermittler der Avantgarde aus Paris wurde er kurz vor der Jahrhundertwende an die Künstlerkolonie Mathildenhöhe nach Darmstadt berufen und verwirklichte dort sein Konzept des Gesamtkunstwerks, sein Wohnhaus die Villa „In Rosen“. Die Retrospektive schließt nicht nur diese fruchtbare Darmstädter Zeit ein, sondern widmet sich auch dem künstlerischen Schaffen der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Der einst berühmte Künstler konnte nicht mehr an seine Erfolge in Darmstadt anknüpfen und geriet nach seinem Tod fast in Vergessenheit.

Hamburg 1886 – 1895

Nach seiner Lehre und Gesellenprüfung als Dekorationsmaler in Flensburg ging Hans Christiansen 1886 nach Hamburg. Hier arbeitete er in der Werkstatt des Innenarchitekten Peter Gustav Dorén, bis er 1887 ein Studium an der Königlichen Kunstgewerbeschule München begann. 1889 nach Hamburg zurückgekehrt, machte sich Christiansen als Dekorationsmaler selbstständig und lebte in einem Netzwerk von Kunsthandwerkern und Künstlern, die mit dem Kunstgewerbeverein und dem Volkskunst-Verein in Verbindung standen. Dazu zählten neben Dorén auch der Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, Justus Brinckmann, der Kunstgewerbler Oskar Schwindrazheim und der Lithograf Carl Griese.
1893 reiste Christiansen zur Weltausstellung in Chicago. Hier empfing er wesentliche Impulse für sein weiteres Schaffen. Neben der Begeisterung für japanische Kunst und die Glaskunst der Firma Tiffany wurde die Begegnung mit dem Hamburger Kunstglaser Karl Engelbrecht entscheidend. In Hamburg arbeitete Hans Christiansen vor allem auf dem Gebiet der Wand- und Deckenmalerei. Daneben entstanden zahlreiche Entwürfe für Plakate, Illustrationen und Postkarten sowie für erste Kunstverglasungen.

Paris 1895 – 1899

Im Herbst 1895 begann Hans Christiansen in Paris ein Studium an der privaten Académie Julian. Der Künstler war in Hamburg zu der Erkenntnis gelangt, dass er nur in Paris, damals Hauptstadt der Künste seine Fähigkeiten voll entfalten könnte. Kunden aus dem Deutschen Kaiserreich und Frankreich bestellten bei ihm Entwürfe für Kunstverglasungen, Plakate, Postkarten, Verpackungen, Keramiken, Wirkereien, Lederarbeiten sowie Buch- und Zeitschriftenschmuck. Die unterschiedlichen Aufträge ermöglichten es Christiansen, seine künstlerischen Fähigkeiten zu erweitern. Seine Entwürfe für die Münchner Zeitschrift „Jugend“ – namensgebend für den Jugendstil – erregten in seiner Heimat große Aufmerksamkeit.
In Paris lernte er 1897 seine spätere Ehefrau Claire aus der jüdischen Kaufmannsfamilie Guggenheim kennen. Der Schrank aus der Wohnung des jungen Ehepaars in der Rue Lafayette, ebenfalls von Christiansen entworfen, ist in der Ausstellung samt Entwurfszeichnung zu sehen.

Darmstadt 1899 – 1901

Im Deutschen Kaiserreich zog die Kunst des Wahlparisers bald die Aufmerksamkeit des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein auf sich. Dieser reiste im Jahr 1898 nach Paris, um Christiansen als ersten Künstler der von ihm bald zu gründenden Künstlerkolonie Darmstadt zu gewinnen. Christiansen nahm den Ruf an und begann im Sommer 1899 mit Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens und weiteren Architekten, Kunsthandwerkern und Künstlern seine Arbeit in Darmstadt. Die Mitglieder der Künstlerkolonie erhielten ein festes Einkommen und mussten im Gegenzug Entwürfe für heimische Firmen anfertigen. 1901 fand auf der Mathildenhöhe unter dem Titel „Ein Dokument deutscher Kunst“ die erste große Ausstellung der Künstlerkolonie statt: Sie präsentierte neben Kunsthandwerk verschiedenster Art, Gemälde, Skulpturen und Grafiken, komplett eingerichtete Wohnhäuser, ein Theater, ein Atelier- und ein Ausstellungsgebäude, sowie von Christiansen gestaltete Illuminationsfeste. Im Rahmen dieser Ausstellung entstand die Villa „In Rosen“, in deren Innenräumen Christiansen die vielen Facetten seiner Kunst zeigte.

Wiesbaden 1911 – 1945

Hans Christiansen verkaufte im Jahr 1911 seine Villa „In Rosen“ und siedelte nach Wiesbaden über. Dort bezog er mit seiner Familie unweit des Kurhauses eine luxuriöse Wohnung in der vornehmen Wilhelmstraße. Im neuen Domizil gestaltete Christiansen kontrastreich zwei aneinandergrenzende Räume: Der „Schwarze Salon“ wartete mit von ihm entworfenen Möbeln im strengen Wiener Jugendstil auf und im „Goldenen Salon“, der hier in der Ausstellung präsentiert wird, zeigte sich die Formensprache des Klassizismus. Nach der vom Kunsthandwerk geprägten Zeit in Darmstadt konzentrierte sich Christiansen mehr auf seine Malerei, die je nach Sujet oder Auftrag einen repräsentativen oder einen experimentellen Charakter haben konnte. Er gestaltete weiterhin Werbegrafiken und Modezeichnungen für verschiedene Firmen. Zentral in seinem Œuvre wurden in der Wiesbadener Zeit seine philosophischen Schriften, die er als seinen wichtigsten kulturellen Beitrag ansah. Nach Beginn der Nazidiktatur wurde Christiansen aus der Reichskunstkammer und der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, da er sich weigerte, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zulassen. Obwohl ihm dadurch die Möglichkeit verwehrte war zu publizieren oder auszustellen, schrieb und malte er weiter bis zu seinem Tod am 5. Januar 1945.