Die Künstlerin Ilit Azoulay ist eine Meisterin des fotografischen Erzählens. Dabei begnügt sie sich nicht mit dem zweidimensionalen Bild, sondern baut Werke mit physischer Präsenz im Raum, manchmal auch mit Sound, die eine ebenso sinnliche wie intellektuelle Wirkung entfalten.
Ihre Vorgehensweise ähnelt zunächst einer archäologischen Ausgrabung. Sie arbeitet sich durch verschiedene Zeitschichten und sucht nach Fragmenten. Orte und Artefakte werden zerlegt, mit Hilfe von Makroaufnahmen wählt die Künstlerin Details aus, sie verändert den Kontext und verwebt Spuren aus Gegenwart und Vergangenheit zu faszinierenden Collagen. Diese puzzleartigen Neuschöpfungen loten die Grenzen tradierter Wissensvermittlung aus und ermöglichen einen assoziativen Zugang zur Geschichte. Jedes Bild birgt in sich die Möglichkeiten weiterer Verwandlungen. Durch diesen offenen Charakter wird Künftigem auf poetische Weise vorgegriffen.
Ilit Azoulay sammelt akribisch ihre Funde und legt für jedes Projekt ein Archiv an. Sie flechtet ihr Material wie einen Teppich, der neue Verbindungen, aber auch neue Verbindlichkeiten entstehen lässt. Dadurch sind die Ergebnisse nicht vom Prozess zu trennen.
Für das Interimsquartier des Museums Villa Stuck VS folgt Azoulay der Einladung, mit einem eigens dafür entwickelten Kunstprojekt auf die Geschichte des neuen und des alten Ortes zu reagieren. Beide Häuser wurden in den gleichen Jahren erbaut. Während die Villa Stuck eines der einzigartigsten Künstler*innenhäuser Europas ist, diente das Gebäude in der Goethestraße zunächst als bürgerliches Wohnhaus. In der NS-Zeit beherbergte es mit der Pension Patria eine sogenannte Zwangsunterkunft für enteignete jüdische Familien auf einem langen Weg, der oft mit der Deportation ins KZ endete. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten verschiedene Nutzungen. Von 1981 bis 1992 ließ sich dort der Verein „Rinascita“ nieder, Anlaufstelle und Kulturzentrum für italienische Arbeitsmigrant*innen. Anschließend zog die Deutsche Akademie für Psychoanalyse ein, die noch Vormieterin des Hauses war, als das Interimsquartier VS gegründet wurde.
Das Projekt besteht aus einem ersten Kapitel im VS und einem zweiten nach der Rückkehr in die Villa Stuck.
Biografie
Ilit Azoulay (*1972 in Jaffa, lebt in Berlin) studierte an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem und Tel Aviv. Azoulays Arbeiten wurden international in zahlreichen Institutionen gezeigt. Mit „Queendom“ bespielte sie den israelischen Pavillon auf der 59. Biennale von Venedig 2022. Zu ihren Einzelausstellungen zählen Projekte im Herzliya Museum of Contemporary Art, Israel (2014), in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin (2014), im CCA – Center for Contemporary Art, Tel Aviv (2019) und Museum der Moderne Salzburg (2024). Azoulays Werke wurden in vielzählige internationale Museums- und Privatsammlungen aufgenommen, darunter die des Museum of Modern Art, New York, des Guggenheim Museum, New York, des LACMA, Los Angeles, des Hammer Museum, Los Angeles, des Art Institute of Chicago, des Centre Georges Pompidou, Paris, der National Gallery of Australia, Canberra, der Julia Stoschek Collection, Düsseldorf/Berlin, des Das Israel Museum, Jerusalem, sowie des Tel Aviv Museum of Art.