José Antonio Suárez LondoñoAlmanach -

José Antonio Suárez Londoño, aus der Serie »Kalender«, Foto: Miguel Suárez Londoño

Die von José Antonio Suárez Londoño (geb. 1955 in Medellín, Kolumbien) seit den 1970er Jahren angefertigten Druckgrafiken, Zeichnungen, Skizzenbücher und Gummistempel bilden zusammen ein immenses Gesamtwerk. Suárez Londoño beherrscht meisterhaft die verschiedenen Techniken jeder dieser Gattungen, die sich alle auf das Alltägliche konzentrieren und sich auszeichnen durch eine einzigartige und sehr markante Ikonographie. Es ist jedoch sein unermüdliches Schaffen insgesamt, das die Einzigartigkeit der künstlerischen Praxis von Suárez Londoño definiert: seine tägliche und wöchentliche Routine, die gleichzeitig ein Inventar der Welt und ein persönliches Tagebuch hervorbringt. In Suárez Londoños Arbeit spielen Faktoren wie Lernen, Erfahrung und Imagination eine große Rolle, womit sich der Künstler einen quasi unendlichen Raum schafft, in dem es ihm gelingt, die Zeit zu überwinden.

Die Auswahl an Arbeiten in der Ausstellung stellt eine von zahllosen Kombinationen dar, die man hätte anbieten können: der Almanach eines international bedeutenden Künstlers, der in seiner Heimat Bezugspunkt für die jüngere Künstlergeneration und Schöpfer eines einzigartigen und zeitlosen Werkes ist.

José Antonio Suárez Londoño lebt und arbeitet in Medellín. Zwischen 1974 und 1977 studierte er Biologie an der Universität von Antioquia. 1984 absolvierte er seine künstlerische Ausbildung an der École Supérieure d'Art Visuel in Genf.

Seine Arbeiten wurden ausgestellt im Museo de Arte Moderno de Medellín (2015), im CAPC musée d'art contemporain de Bordeaux (2015), in La Casa Encendida, Madrid (2015), auf der 55. Biennale in Venedig (2013). Weitere Ausstellungen: Drawing Center, New York (2012); Museum of Modern Art, New York (2010); Trienal de Grabado, San Juan, Puerto Rico (2004), Museo Reina Sofía, Madrid (2000) und Roteiros, XXIV. Biennale Sao Paulo, Brasilien (2000). Seine Arbeiten befinden sich u.a. in den Sammlungen des Metropolitan Museum of Art, New York; des Museum of Modern Art, New York; der Banco de la República, Kolumbien, und der Graphischen Sammlung Albertina, Wien.

Zur Ausstellung

Mit insgesamt etwa eintausend Arbeiten ist die Ausstellung Almanach der bislang umfassendste Überblick zum Schaffen von José Antonio Suárez Londońo und seine erste Ausstellung überhaupt im deutschsprachigen Raum. Die Werke werden im 1. Obergeschoß der historischen Villa präsentiert.

Altes Atelier

1974 traf Suárez Londoño Humberto Pérez, einen Künstler aus Antioquia, der ihn in die Welt der Druckgrafik einführte. Er erhielt seine ersten Unterrichtsstunden in dieser Technik von Yomaira Posada und Augusto Rendón und fuhr auch während seines Kunststudiums in Genf fort, Drucke anzufertigen. Jahre später wurde er von Arte Dos Gráfico in Bogotá und vom Tamarind Institute in Albuquerque, New Mexico, eingeladen, Lithographien in deren Ateliers zu produzieren. Seit seiner Rückkehr nach Medellín im Jahr 1984 hat Suárez Londoño sein gesamtes grafisches Werk im Taller de Grabado La Estampa in Medellín selbst hergestellt und gedruckt. Er hat in jüngster Zeit mit dem Robert Blackburn Printmaking Workshop Programm und mit Harlan & Weaver in New York zusammengearbeitet.

Pinselraum

Konsequenterweise setzt Suárez Londoño seine künstlerische Praxis auch während seines mehrwöchigen Aufenthalts in München im Juni 2018 fort. Im ehemaligen Pinselraum von Franz von Stuck hat Suárez Londoño daher »Carte Blanche« und wird den Raum bis zur Eröffnung mit Zeichnungen füllen, die hier vor Ort in München entstehen.

Schlafzimmer Franz von Stucks

Die sogenannten »Jahrbücher« entstammen dem Interesse des Künstlers an Literatur, insbesondere an autobiografischen Stoffen. Jedem ausgewählten Buch widmet er ein Jahr Zeichnungen. Die Serie begann, als der Künstler auf Brian Enos Memoiren »A Year with Swollen Appendices« stieß, die 1996 veröffentlicht und 1997 von Suárez Londoño »illustriert« wurden. Es folgten zahlreiche weitere Titel - einige Skizzenbücher sind mehr als einem Buch gewidmet, während andere Bücher zahlreiche Skizzenbücher erfordern. Die Auswahl umfasst Zeichnungen für die Tagebücher von Paul Klee (1998), die in dieser Ausstellung ungebunden und in Gänze gezeigt werden, Gedichtbände von Patti Smith (2009) und die erwähnten Memoiren von Brian Eno. Alle Jahrbücher wurden 2012 in der Ausstellung »The Yearbooks« im The Drawing Center in New York gezeigt.

Suárez Londoño begann 1991 seine »Cabañuelas« [ursprünglich aus Spanien stammende traditionelle Methode der Wettervorhersage] zu zeichnen. Seitdem hat er sich jeden Tag während der ersten zwölf Januartage selbst dargestellt. Das Gleiche macht er am ersten Tag des Monats während des restlichen Jahres wieder und zeichnet sich an einigen besonderen Tagen zweimal.

Die »Kalender« (1985) entstanden aus der Kombination von Standard-Farbmustern für Industrielacke und berühmter Zitate aus einem Kalender. Die Zitate werden vom Künstler in den leer gelassenen Raum frei hineininterpretiert, nachdem sie ausgeschnitten und auf das Farbmuster geklebt wurden. Aus der Begegnung zwischen standardisiertem, universellem Wissen (dem Zitat), der Vorstellungskraft des Künstlers (der Zeichnung) und einem alltäglichen, funktionalen Gegenstand (dem Farbmuster) entsteht so eine neue Art von Musterbuch.

Badezimmer

In den 1980er-Jahren begann Suárez Londoño seine kleinen Stempel aus Radiergummis herzustellen und stellt sie heute noch her. Diese wiederkehrenden Bilder in seiner Arbeit bieten somit eine Art Kompendium von Druckerschriften, die wiederum zusammen das persönliche Alphabet des Künstlers bilden. Daneben sind Exlibris für Freunde und Neujahrskarten zu sehen, die in mit dem Stempel gedruckten Heften ihren Platz finden.

Schlafzimmer Mary von Stucks

Die Serie »365« entstand aus einem Dialog zwischen dem Schriftsteller Héctor Abad Faciolince und José Antonio Suárez Londoño. Das Projekt begann 1994 mit dem Ansatz, dass Suárez Londoño täglich eine Zeichnung produzieren würde, die der Autor mit einem Text begleitet. Das Projekt wurde letztendlich nicht abgeschlossen, aber Suárez Londoño zeichnete jeden Tag bis zum Ende der Serie.

Die Reise-Tagebücher beinhalten Landschaften, spontan skizzierte Szenen und eine große Auswahl an Erinnerungsstücken. Die am häufigsten dargestellten Reiseziele sind Daytona Beach, das der Künstler seit seiner Kindheit regelmäßig besucht, und New York.

Im Jahr 1991 begann Suárez Londoño mit der Entwicklung der »Yolovei«-Notizbücher. Der Titel, der »ich sah es« bedeutet, bezieht sich auf einen Satz, den der Künstler in Nuquí, einer kolumbianischen Stadt in der Region Choco, von einem Jungen hörte. Er übernahm den Satz für diese visuellen Chroniken gegen das Vergessen, die er seit 1989 während eines Jahrzehnts anfertigte. In diesem Jahr beauftragte den Künstler eine Werbeagentur damit, eine Reihe von Zeichnungen zu produzieren, um Destinationen zu bewerben, die von einer lokalen Fluglinie angeboten werden.

Suárez Londoño begann Porträts aus seinem Leben in der Schweiz zu zeichnen, wo er seine Kommilitonen porträtierte. Im Jahr 2004 gründete er in Medellín die »Friday Students Group« die sich in einem Haus im Zentrum der Stadt trifft, wo es verschiedene Künstlerresidenzen und -studios gibt und Anfänger und professionelle Künstler Seite an Seite arbeiten. Jeden Freitag ist die Schule für Alle zum gemeinsamen Zeichnen geöffnet.

Ankleidezimmer

José Antonio Suárez Londoño entschied sich während seines Studiums an der École supérieure d'art visuel in Genf, sein künstlerisches Schaffen vollständig dem Zeichnen und der Druckgrafik zu widmen. Zur damaligen Zeit war dies durchaus eine Entscheidung, die den vorherrschenden Trends zuwiderlief. Er lernte, diese beiden Techniken als konzeptionelle Formen und nicht nur als formale Übungen zu verwenden. Seit diesem Moment besteht eine zeitliche Kontinuität, wurden Uhren synchronisiert und Kalender eingerichtet, um sicherzustellen, dass die Gegenwart definitiv immer gegenwärtig ist.

José Antonio Suárez Londoño verkörpert den berühmten Satz von Plinius dem Älteren, »Nulla dies sine linea« und bezieht sich auf die unerschöpfliche Zeichenkunst des klassischen Künstlers Apelles.

Installationsansichten