Was verbirgt sich hinter dem Vorhang? Bevor eine Vorstellung beginnt, liegt die ganze Aufmerksamkeit auf dem geschlossenen Vorhang. Alles spielt sich zunächst in den Köpfen des Publikums ab – Erwartungen und Möglichkeiten sind unbegrenzt. Die gefeierte britische Malerin Louise Giovanelli inszeniert in ihren oft großformatigen Ölgemälden den Zauber dieses Augenblicks und konfrontiert dessen Flüchtigkeit mit der detailreichen Materialität der dargestellten Stoffe. Das Museum VILLA STUCK präsentiert in Zusammenarbeit mit der Hepworth Wakefield Gallery und der HALLE FÜR KUNST, Graz, die erste große Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland. Zu sehen sind zehn neue Werke und eine repräsentative Auswahl von Arbeiten der letzten Jahre.
Das Spiel mit Verhüllung, das Louise Giovanelli in ihren Gemälden inszeniert, macht neugierig und lädt zur Reflexion über Wahrnehmung, Erkenntnis und Repräsentationsmechanismen in der Kunst ein. Der Aufführungsrahmen oder die Bühne selbst erklärt sie zum eigentlichen Sujet, an dem die Malerin alle erdenklichen Register von Farbe, Licht und Textur mit einem Sinn für Dramatik erprobt. Die an die Altmeister erinnernden, drapierten Stoffe entstehen durch zahlreiche lasierende Farbschichten. Doch das Material scheint sich durch glitzernde Lichtreflexe theatralisch aufzulösen. Diese Technik überträgt Giovanelli auch auf andere Motive wie Kleider oder Perücken, die ebenso präzise wie künstlich erscheinen. Ihre Malerei thematisiert so den artifiziellen Charakter von Kunst selbst.
Im Zentrum von Giovanellis scheinbar glamourösen Spektakeln stehen Rituale, die von sozialen und kulturellen Gruppen geprägt sind. Einige Bühnenmotive beziehen sich auf sogenannte Working Men’s Clubs – Einrichtungen, die seit dem 19. Jahrhundert in Großbritannien als Gegenstück zu den elitären Gentlemen’s Clubs entstanden und der Freizeitgestaltung der Arbeiterklasse dienten. Religiöse Anspielungen – etwa auf die inquisitorische Urteilsverkündung Auto-da-fé oder das Wallfahrtslied A Song of Ascents – treffen auf ein ekstatisches Nachtleben, gespeist aus den popkulturellen Bildwelten der 1970er bis 1990er Jahre. Diesem Themenkomplex widmet sich Giovanelli in einer Reihe kleinformatiger Darstellungen von Gesichtern. Oft unscharf und fragmentiert wirken sie entrückt und zeigen in aufgerissenen, keuchenden Mündern und verzerrten Gesichtszügen Aufruhr oder Ekstase. Der Rausch wird dabei zu einer bewusstseinserweiternden Erfahrung, in der sich Drogen, Sex und Erleuchtung vereinen, Lust, Horror und Gewalt ineinandergreifen und individuelle Züge zunehmend verschwimmen.
Giovanelli lässt sich von Fotografien, Filmstills und ikonischen Werken der europäischen Kunstgeschichte inspirieren. Der Glanz in ihren Arbeiten jedoch überstrahlt ethnische und soziale Unterschiede und stiftet ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Das Strahlende entfaltet eine visuelle Qualität, die über bloße Sichtbarkeit hinausgeht. Glitzernde Effekte verschleiern das eigentliche Erscheinungsbild, lenken den Blick ab – auch von abgenutzten Vorhängen. In diesem Glanz transzendiert kollektives Glück die Vereinzelung des Individuums.
Über die Künstlerin
Louise Giovanelli (*1993 in London) ist eine der vielversprechendsten britischen Künstler*innen ihrer Generation. Sie lebt und arbeitet in Manchester. 2023 gründete sie gemeinsam mit der Galeristin und Kuratorin Alice Amati sowie dem Künstler und Akademiker Ian Hartshorne die gemeinnützige Apollo Painting School. Damit ist Giovanelli eine zentrale Figur der sich neu aufstellenden Kunstszene in Manchester. Sie studierte von 2018 bis 2020 an der Städelschule in Frankfurt am Main bei Amy Sillman, nachdem sie 2015 ihren Bachelor an der Manchester School of Art abgeschlossen hatte. Einzelausstellungen ihrer Arbeiten fanden unter anderem im He Art Museum, Foshan, China (2024), bei Moon Grove, Manchester (2023), in der Manchester Art Gallery (2019), bei der Workplace Foundation, Gateshead (2019), im Warrington Museum and Art Gallery (2018) sowie in der Grundy Gallery, Blackpool (2016) statt. Ihre Werke wurden zudem in Gruppenausstellungen gezeigt, unter anderem in der FLAG Art Foundation, New York (2023), der Hayward Gallery, London (2021), der AkzoNobel Art Foundation, Amsterdam (2021) und im The Art House, Worcester (2019).