Robert WilsonVilla Stuck - Ein Environment aus 12 Tableaux -

Foto: Brigitte Maria Mayer

Das hundertjährige Jubiläum eines Gebäudes, von einem Künstler als Gesamtkunstwerk errichtet und späterhin als Museum für bildende Kunst dienend, erfordert eine zweifache Aufgabe: zum einen muß dem Künstler gedacht werden, dessen imaginativer Welt das Gebäude entsprang, zum anderen muß aber auch dem Gebäude in seiner Räumlichkeit selbst gehuldigt werden. Es muß mithin eine Ausstellung stattfinden, in der die ausgestellten Objekte in unmittelbaren Dialog zu den Ausstellungsräumen treten, um so die Räume bewußt werden zu lassen, die sonst stillschweigend hinter die ausgestellte Kunst zurücktreten. Wenn sich dann ein bildender Künstler und Theaterregisseur dieser Aufgabe annimmt, dann heißt das für eine Ausstellung, die sich Robert Wilson - Villa Stuck tituliert, die Inszenierung von Räumlichkeit durch die ausgestellten Objekte.


Wilson greift dazu Motive aus den von Stuck gestalteten Wandtafeln der Villa heraus und hebt sie als Plastiken in die Dreidimensionalität des Raumes, gleich aus der Wand herausgelöster Reliefs. In der nunmehr erzielten Selbstreflexivität des Raumes, die sich in der Doppelung der Motive und ihrer Plazierung aus dem Marginalen der Wand in das Zentrum des Raumes ergibt, gelangt der Raum selbst zur Ausstellung. Durch die von Wilsons Objekten herbeigeführte fokussierende Hervorhebung verlassen die Motive den Charakter des Dekorativen: Zu neuer, plastischer Materialität und lebensechter Größe transferiert, materialisieren sie sich zu einer eigenen, Stuck’schen, Wirklichkeit, in der die wiederkehrenden Gestalten der Kentauren und Faune zum thematischen Leitmotiv werden. Die Grenze von künstlerischer Imagination und der Wirklichkeit hebt sich auf und synthetisiert sich in einer Kulisse des Märchenhaft-Verwunschenen. Die Allegorien der symbolisitschen Malerei Stucks erheben sich durch ihre Materialisierung zu einer Hyperrealität, in der die Träume in die anfaßbare Wirklichkeit übergesprungen sind.


So ist der immer wieder als Gipsrelief aus dem Verborgenen der Wand hervorbrechende Faun in der Mythologie Urheber geheimnisvoller Stimmen in der Natur; sein dämonisches Wesen kehrt wieder in den stimmlichen Versatzstücken, die Wilson einspielen läßt, und die zu einer geheimnisvollen Belebung der Räume führen (ein Lachen in einem Korridor, Bellen von Hunden, Flötenspiel, Einspielungen von Webers „Freischütz“). Der in der Austellung beständig wiederkehrende Kentaurus und die im Empfangszimmer dargestellte Szenerie der Kentauromachie, die eine plastische Wiederholung der Phantastischen Jagd (1890) ist, halten die Themen bereit, die Wilson im Durchgang durch das Gebäude auf immer neue Weise durchspielt. Der jagende Kentaurus trifft mit seinem Pfeil tödlich das Herz eines anderen Kentauren und eröffnet damit die thematische Ebene vom Spiel von Liebe und Tod. Es kehrt wieder in dem Schaukasten, das die Betrunkene Kentaurin (1892) als Plastik zeigt, dem maskierten Amor und gelangt zur ikonischen Verschmelzung in der als Environment inszenierten Sünde (1891/92): im Nebeneinander von Monna Vanna (1920), einer Kleinskulptur, die den nackten Torso einer Frau zeigt, und einer lebendigen Pythonschlange spannt sich assoziativ das Zusammenspiel von lasziver Liebe und Tod auf.

Die Environments Wilsons, die sich aus den Zitaten der Gemälde (und auch Fotografien) des Franz von Stuck speisen, heben sowohl auf die Räumlichkeit der Villa Stuck als auch auf das künstlerische Werk des Franz von Stuck ab. Die Arbeiten Wilsons zeichnen sich mithin durch ihren Verweischarakter und nicht durch ihre eigene Kunsthaftigkeit aus, was nach der Verabschiedung des Kunstwerkes in der Postmoderne nur konsequent erscheint. Im Verweisen auf den Kontext von Raum und Werk eines anderen Künstlers, das Wilson zum eigentlichen Thema wird, enthebt sich seine Kunst trotz seiner manifesten Gegenständlichkeit der Objekthaftigkeit und gliedert sich damit ein in die Kunst Wilsons, die jenseits eines Naturalismus stattfindet.

Text: Dunja Bialas