Sylvie FleuryMy Life on the Road -

Installationsansicht Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser

Mit Unterstützung von prohelvetia

YES TO ALL – seit den 1990er-Jahren nimmt Sylvie Fleury in ihren Werken auf vielfältige Weise Bezug auf Kommerz und Luxuswarenwelt. Das Museum Villa Stuck widmet ihr im Sommer 2016 eine große Einzelschau. Fleury bespielt die Historischen Räume des Museums Villa Stuck und gibt dort einen Überblick über ihr Schaffen der letzten 25 Jahre. Daneben konzipiert sie neue Arbeiten für die Villa Stuck. Ein besonderes Highlight ist eine Glasarbeit, die in Zusammenarbeit mit der Mayer'schen Hofkunstanstalt entsteht.

Sylvie Fleury ist bekannt für ihre Inszenierungen von Glamour, Mode und Luxusartikeln: Einkaufstüten bekannter Modefirmen werden im Ausstellungsraum ebenso inszeniert wie auf dem Boden zerbrochene Make-up-Produkte. Statussymbole und Fetische der Konsumwelt werden in den Kontext der Kunstwelt verschoben und damit in ihrem Wert hinterfragt. Im Sinne Duchamps sind ihre Objekte »Readymades«, die Warhols Ansatz einer Kritik der Warenwelt unterstreichen. Die Macht der Marke, das Logo als Signum einer globalen Konsumwelt – diese Marketing-Strategien überhöht Fleury in ihren vielschichtigen Werken. Neon-Schilder verkünden Botschaften der Mode-Industrie: »Envy«, in Mary von Stucks Schlafzimmer zu sehen, zitiert ein bekanntes Parfum und verbindet dabei die Vergänglichkeit eines Duftes mit seiner Vermarktung zu einem Paradox. Werke berühmter (männlicher) Künstler, etwa des Minimal Art-Künstlers Dan Flavin oder Daniel Burens Konzeptarbeiten, ergänzt Fleury provokant mit einer feministischen Konnotation. Indem sie das ästhetische Konzept dieser Arbeiten stört, bricht sie ihre Ernsthaftigkeit auf.

In der Ausstellung »My Life on the Road« im Museum Villa Stuck bezieht sich Sylvie Fleury auch auf die historischen Repräsentationsräume Franz von Stucks. Dieser verstand es zu seiner Zeit wie kein anderer, eine Marke zu schaffen: vom eigenen Schriftbild bis hin zu seiner als Gesamtkunstwerk gestalteten Villa ging es ihm um Wiedererkennbarkeit und geniale Kunstproduktentwicklung – eine Herausforderung für Fleurys Arbeiten. Ihre Installationen bewegen sich zwischen Verführung und Oberflächlichkeit, Kunst und Werbung, Konzept und Konsum. Sie offenbaren Begehren und Fach- oder Insiderwissen ebenso wie gesellschaftliche Codes.

Sylvie Fleury wurde 1961 in Genf geboren, wo sie auch lebt und arbeitet. Seit 1991 nimmt sie an zahlreichen Ausstellungen teil, darunter Einzelausstellungen im Centre de Arte Contemporaneo, Malaga (2011); im Musée d’Art Contemporain de Genéve, Genf (2008), sowie in der Kunsthalle Wien (2006). Sie ist Preisträgerin des renommierten Preises »The Geneva Société des Arts Prize 2015«. In München war Fleury zuletzt 2010 im Kubus des Lenbachhauses zu sehen. 1999 war sie an der Gruppenausstellung »Wall Works« in der Villa Stuck beteiligt.

Zur Ausstellung

My Life on the Road umfasst etwa 50 Werke von Sylvie Fleury, die in den letzten 25 Jahren entstanden sind. Darunter befindet sich die oft diskutierte Skulptur Ela 75 K – Go Pout (2000), ein vergoldeter Einkaufswagen, der sich, erhöht auf einem Sockel, als Zeichen des ewigen Konsums, im Kreis dreht.

Sylvie Fleury geht stets auf die räumlichen Gegebenheiten des Ausstellungsortes ein. So entwickelt sie für die Villa Stuck einen Parcours, mit dem sie sich mit den Historischen Räumen der Villa Stuck auseinandersetzt. Die Schau findet in den Repräsentationsräumen im Erdgeschoss sowie im ersten Obergeschoss, dem Alten Atelier und in den Privaträumen Franz von Stucks statt.

Yes to All (2009) begrüßt die Besucherinnen und Besucher vom Balkon des Alten Ateliers aus: Der Neon-Schriftzug nimmt die ganze Breite des dominant dem Gebäude vorgestellten Balkons ein. Fleury setzt in ihren Arbeiten Sprache gezielt ein, um Werbestrategien in ihrer Augenfälligkeit zu hinterfragen. »Yes to All«, ein mehrmals verwendeter Sinnspruch Fleurys, bringt ihre offene Haltung und egalitäre Einstellung zum Ausdruck. Obwohl abgekoppelt vom Produkt selbst, ordnet man Neon-Schriftzüge wie Envy (2015, in Mary von Stucks Schlafzimmer zu sehen), dem beworbenen Parfum zu. Sprache wird damit als Instrument der Machtausübung überführt. Das Spiel mit Emotionen als Werbestrategie wird offenbar.

Im Empfangssalon sind Fleurys Shopping Bags (2016) zu sehen. Auch hier werden Instrumente und Mechanismen der Modewelt hinterfragt. Die Auswahl der Einkaufstaschen ist durch Werbeanzeigen in Zeitschriften, vor allem in Vogue, inspiriert. Die Taschen werden wie minimalistische Kunstwerke im Raum platziert. Sie stehen stellvertretend für die Befriedigung eines luxuriösen »Shopping«-Bedürfnisses. Fleury eignet sich diese Taschen, die sie in ihrem Design bemerkenswert findet, als Kunstobjekte an und nennt sie »mini-monoliths«. Die Installation ist in diesem Sinn ein »Ready-made«, ein Alltagsobjekt, das durch Kontextverschiebung einen anderen Wert erhält.

Die begehrte Shoppingware »Schuhe« wird hingegen im Empfangs- und Musiksalon der Villa Stuck präsentiert. Wild Pairs (2015) ist eine Installation aus Pumps und Playgirl-Magazinen. Der Fetisch Stöckelschuh wird emanzipiert, der Mann als Objekt der Begierde präsentiert. Die Yeti-Boots (2010) sind aufwendig aus Marmor gestaltet. Eine der schwierigsten Aufgaben der Bildhauerei, das Gestalten von Fell, wird hier an einem profanen Objekt umgesetzt. Schuhe sind nicht nur modisches Accessoire, sondern sie tragen den Körper. Als Träger oder Vehikel für Geist und Körper sind auch andere Fortbewegungsmittel im Werk Fleurys zu betrachten.

Die rosa Rakete First Spaceship on Venus (2015) macht Halt in Stucks Raucherzimmer und bringt die Besucherinnen und Besucher zum weiblich konnotierten Planeten Venus. Der Titel des Motorrads im Speisesaal behauptet, dass jedes Mädchen ein lilafarbenes Motorrad in sich trägt (Every Woman has a Purple Motorbike Inside, 2016) – Emanzipation, Freiheit und Verschiebung von erotisch konnotierten Objekten schwingen mit. Fortbewegungsmittel beinhalten auch eine zeitliche Dimension, da sie, nach Nicolas Bourriaud (»fugitive length of time«), den flüchtigen Zeitverlauf symbolisieren.

Im Video Car Wash Vivier (1995) wäscht Sylvie Fleury selbst, gekleidet in Haute Couture und High Heels, ihren amerikanischen Wagen. Film Stills aus diesem Video sind Vorlagen für neue Glasarbeiten, die in der renommierten Münchner Glasmanufaktur Mayer’sche Hofkunstanstalt eigens für die Ausstellung in der Villa Stuck gefertigt wurden. Die Übersetzung des einfach produzierten Videos in aufwendige Glasfenster belegt Fleurys künstlerischen Ansatz der Kontextverschiebung und der Hinterfragung von Werten: Alltagsgegenständen wird eine neue, preziöse Bedeutung verliehen, Fetische der Konsumwelt werden auf einen Sockel gesetzt, - mit einem Augenzwinkern. Fleury macht den Betrachter / die Betrachterin zum Komplizen. Das Wiederentdecken, die Neukombination und die assoziative Rezeptionsästhetik bereiten Freude an ihrem Werk. Der Betrachter entschlüsselt die vielfältigen Referenzsysteme und vervollständigt damit die Aussage der Künstlerin.

In den Privaträumen Franz von Stucks führt Sylvie Fleury ihre Strategie weiter, einem männlich konnotierten System einen weiblichen Standpunkt entgegenzusetzen: »In a sense I have tried to add yin when there was too much yang, and vice versa, as a means to create an improbable balance between contrasting elements«. In Stucks Raucherzimmer, das dem Hausherrn und männlichen Gästen vorbehalten war, eine rosarote Rakete zu platzieren, verbindet die Reflexion über kunsthistorisches Wissen mit Humor. Wenn sie Donald Judds Meisterwerk des Minimalismus um amorphe Strukturen ergänzt, durchbricht sie die Strenge und Ernsthaftigkeit dieser Kunstrichtung. Eternal Wow on Shelves (2008) ist eines der Hauptwerke, das in Stucks Pinselraum zu sehen ist. Sie eignet sich dieses Werk im Sinne der Appropriation Art an. Die Aneignung wird als künstlerische Strategie festgehalten; so können Autos mit Flammen (hot rod flames) als »custom-made« in Erscheinung treten, so wie Schuhe oder Taschen Ausdruck der Persönlichkeit sein können.

Fleury ist in ihrer Kunst selbst präsent, sei es als Akteurin in Car Wash Vivier (1995) oder als Gruppenmitglied der »She-Devils on Wheels«, die im Film Cristalle Custom Commando (2008) Chanel-Taschen mit Gewehrschüssen erlegen. In ihrer Installation Retrospective (2016) versammelt sie in einem Regal Schuhe als Stellvertreter für Erinnerungen an Ereignisse oder Situationen, die bedeutungsvoll für sie waren. Dieses Regal steht am Eingang zu Stucks Altem Atelier, dem Ort schöpferischer Kreativität, in dem Stuck in einem Fries vermerkte, in welcher künstlerischen Tradition er sich verortet sah.

Im Alten Atelier befindet sich auch der Höhepunkt von Fleurys Ausstellungsdramaturgie, eine Ansammlung von Kunstwerken aus allen Schaffensperioden. Ihrer Intuition folgend erspürt sie den kreativen Impuls des Ortes und schafft ein narratives Assoziationsgeflecht. Neben Bobby Pins (2016) unterstreichen ihre neu entstandenen Gemälde My Life on the Road (2016) Fleurys prozesshafte Herangehensweise: In der Gegenüberstellung von Gegensätzen bietet sie verschiedenartige Bezüge und Beziehungssysteme zur Deutung an. Diese »cross-references« bewegen sich auf mehreren Interpretationsebenen,
Fleury spielt mit dem Publikum. Auch der Ausstellungstitel, der wie ein Filmtitel verschiedenen Assoziationen Raum lässt, unterstreicht diese Methode. Es gibt keine Deutungshoheit, dennoch ist Gloria Steinems gleichnamiges Buch als Referenz zu benennen. Steinem, eine der führenden Feministinnen der USA, versuchte Systeme zu hinterfragen, indem sie sie von innen heraus untersuchte und analysierte. So ist auch die neue Arbeit Ms. (2016) eine Hommage an die Gründerin des gleichnamigen Magazins.

Sylvie Fleurys Arbeitsweise spiegelt das Hier und Jetzt wider, seismographisch reagiert sie auf Trends und durchschaut Marktmechanismen, die ihren Auftritt in der Mode und in Zeitschriften haben. Das Gespür für einen flüchtigen Zeitgeist und die Sensibilität für Instrumente der Macht verschiedener gesellschaftlicher Subsysteme, wie Formel 1, Modewelt oder Kunstmarkt, legen mit einem Augenzwinkern und visueller Überzeugungskraft Wertesysteme offen, die es zu hinterfragen gilt.