Terunobu Fujimori. ArchitektWerkschau 1986–2012 -

Terunobu Fujimori, Walking Café im Garten Museum Villa Stuck, 2012. Foto: Bernd Schuller

Mit großzügiger Unterstützung der Japan Foundation

Das Museum Villa Stuck präsentiert die erste Ausstellung zum Werk des japanischen Architekturhistorikers und Architekten Terunobu Fujimori in Deutschland. In der bisher umfangreichsten Werkschau zu Fujimori veranschaulichen Modelle, Zeichnungen, Materialtafeln, Architekturpläne und Fotografien, insgesamt ca. 140 Arbeiten, das Schaffen Fujimoris, der bisweilen als weltweit einziger surrealer Architekt bezeichnet wird. Von Fujimori speziell für einige Häuser »Forum (1999)«; »Gen-an (2006)«; »Yakisugi-Haus (2007)« entworfene Möbel aus Holz und Rattan ergänzen die Schau und demonstrieren Fujimoris ganzheitliche Herangehensweise an menschlichen (Lebens-)Raum.

Höhepunkt ist ein eigens für den Garten der Villa Stuck entwickeltes, mobiles Teehaus, − mit Rücksicht auf die lokale Vorliebe für Kaffee »Walking Café« genannt. Der Bau von Teehäusern nimmt in Fujimoris Schaffen eine besondere Stellung ein. Auf eindrückliche Weise verbinden sich hier seine Auseinandersetzung mit authentischen, ursprünglichen Ausdrucksformen, japanischer Kultur und eigenen ungewöhnlichen, höchst persönlichen architektonischen Lösungen, die eine Art inneres, überzeitliches Formverständnis erfahrbar werden lassen. Fujimoris Philosophie einer »intimen Bauweise«, die den Menschen als raumbestimmende Größe versteht, tritt hier in einen spannenden Dialog mit dem von Franz von Stuck entworfenen Künstlerhaus. Das eigens für die Ausstellung in der Villa Stuck entworfene Teehaus bzw. »Walking Café« wird den Sommer über für die BesucherInnen des Museums begehbar sein und darüber hinaus an verschiedenen Plätzen im Stadtraum Münchens Station machen.

Eine zentrale Rolle in der vorliegenden Ausstellung nimmt das Projekt »Tokio Plan 2107« aus dem Jahr 2007 ein, das Fujimori als kritischen Visionär vorstellt. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in Japan, das am 11. März 2011 durch schwere Erdbeben, einen Tsunami und anschließende Störfälle in japanischen Atomkraftwerken eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes erlitt, belegen insbesondere die in der Ausstellung präsentierten Zukunftsmodelle Fujimoris, dass es in seiner Arbeit um weit mehr als reine Architektur geht. Mit seinen Architekturvisionen (tatsächlich gebaut, als Modell oder in Textform) stellt sich Fujimori ins Zentrum eines gesellschaftlichen Diskurses, der − mit den Mitteln von Architektur und Kultur − den höchstmöglichen Einklang zwischen Mensch und Natur anstrebt.

Einen weiteren Aspekt von Fujimoris Schaffen zeigt die Präsentation von Arbeiten, die im Zusammenhang seiner Aktivitäten in der »Roadway Observation Society« (ROJO) entstanden sind. ROJO ist ein Kollektiv, das in Form von fotografischer Spurensuche unbeachteten, urbanen Konstellationen nachgeht, die als Ausdruck des Unbewussten in der Stadtlandschaft betrachtet werden können. Die ROJO Society wurde 1986 gegründet. Zu ihren Mitgliedern zählen Genpei Akasegawa (Künstler und Schriftsteller), Terunobu Fujimori (Architekturhistoriker und Architekt), Shinbo Minami (Illustrator), Joji Hayashi (Autor) and Tetsuo Matsuda (Verleger). Der Titel des Kollektivs entstammt dem Buch »Kenchiku tantei no bōken: Tōkyō hen (Abenteuer eines Architekturdetektivs: Tokio Band) « , das Fujimori 1986 veröffentlicht hat und wofür er den »Suntory-Preis für Sozial- und Geisteswissenschaften« erhielt.

Das Museum Villa Stuck dankt für die großzügige Unterstützung GIMA, Girnghuber GmbH, Marklkofen, dem Japanischen Kulturinstitut Köln (The Japan Foundation), dem Japanischen Generalkonsulat München, Moeding Keramikfassaden GmbH, Marklkofen, Obayashi Corporation und Swiss Re.

Zur Ausstellung

Obwohl Terunobu Fujimori ausgebildeter Architekt ist, war er Jahrzehnte lang als Architekturhistoriker tätig. Fasziniert nicht nur von den Höhlenmalereien von Altamira und Lascaux und den Standing Stones der Jungsteinzeit, verschaffte er sich ein umfassendes Wissen über die Architektur verschiedenster Zeiten und Kulturen. Erst im Alter von über 40 Jahren debütierte er als Architekt.

Auf Anregung einer Priesterfamilie aus seiner Heimat in der Provinz Nagano entwarf er 1991 das »Historische Museum der Priesterfamilie Moriya« für die Stadt Chino. Da er bereits bestehende Bauten nicht imitieren wollte, aber auch das gängige Repertoire der zeitgenössischen Architektur nicht passend fand, entstand ein mysteriöser Bau von hoher Originalität, der sich mit seinen Fußböden aus gestampftem Lehm, seiner Außenhaut aus Kastanienholz, seinem quadratischen Dach und seiner Vertikalität harmonisch in die Landschaft der umliegenden Ebenen und Berge einfügt.

Bereits in diesem Bau scheinen grundlegende Charakteristika seiner von nun an in ungebremster Kreativität entstehenden Entwürfe auf: In Rückbeziehung auf archaische Vorbilder verwendet Fujimori für seine Bauten vorwiegend traditionelle Materialien wie Erde, Stein, Holz, Kohle, Baumrinde und Mörtel in möglichst unbearbeiteter Form, zudem lebende Pflanzen, die auf sein starkes Interesse an der Beziehung zwischen Architektur und Natur verweisen. Dieses naturnahe Vorgehen wird verbunden mit Prinzipien traditioneller (Handwerks-)Techniken und verdichtet sich so zu einem Gegenentwurf zur gängigen Architektur der Moderne. Diese stellt die Folge exzessiven Wachstums dar, trägt den Bedürfnissen einer stetig voranschreitenden Industrialisierung Rechnung, beeindruckt durch Größe und Kühnheit ihrer Formen, berührt den Menschen jedoch im Innersten nicht: » Die Architekturbewegung des 21. Jahrhunderts kann sich wahrscheinlich nur erneuern, wenn sie sich noch einmal auf den Ursprung dessen besinnt, was man Architektur nennt. Ich glaube, dass allein eine Architektur, die diesen Prozess durchläuft, wieder die Kraft gewinnen wird, die Körper und Seelen derjenigen Menschen zu berühren, die sie bewohnen.« (Fujimori, 2012)

Im Zuge der Planung weiterer Gebäude, wie etwa dem 1995 errichteten »Tanpopo-Haus (Löwenzahnhaus)« in Tokio oder dem 1998 entstandenen »Ipponmatsu-Haus (Haus der einsamen Kiefer)« in Fukuoka Stadt kristallisierten sich folgende Entwurfsprinzipien heraus, die grundlegend für Fujimoris Architektur bleiben sollten: seine Gebäude ähneln weder einem bereits bestehenden Stil irgendeines Landes noch den Werken irgend eines modernen Architekten; Errungenschaften moderner Wissenschaft und Technik werden für diejenigen Bereiche von Gebäuden verwendet, die nicht sichtbar sind; natürliche, möglichst wenig bearbeitete Materialien hingegen für Bereiche, die offen sichtbar sind, – in anderen Worten: Wissenschaft und Technik werden »in Natur eingewickelt«. Im Außenbereich werden nur Bambusgras oder Rasen gepflanzt und das bebaute Gelände wird nicht von der Umgebung abgegrenzt. Somit genügen Fujimoris Bauten ökologischen Kriterien und sind hoch energieeffizient, ohne dass der ökologische Aspekt dabei im Vordergrund stünde. Fujimori sieht den Schwerpunkt seiner Arbeit vielmehr im Umgang mit der visuellen Erscheinung und, im weiteren Sinn darin, sichtbar und harmonisch zwei Welten miteinander zu verbinden: die Welt der von Menschenhand geschaffenen Architektur und die Natur.

Internationale Bekanntheit erlangt Fujimori vor allem mit seinen Teehäusern, kleinen abgeschlossenen Räumen mit einer Feuerstelle, einem kleinen, niedrigen Eingang (dem » nijiriguchi«) , hergestellt aus schlichten und einfach zu beschaffenden Materialien, oftmals auf Pfählen in der Luft schwebend gebaut. Sie stellen eine Exemplifizierung minimaler Architektur dar und erlauben es ihm, nach der Essenz der Architektur sowie ihren Entwicklungsmöglichkeiten im 21. Jahrhundert zu suchen.

Insbesondere beim Entwurf von Teehäusern stellt Fujimori einer „unorganischen, glänzenden Abstraktion«, wie sie für die Bauweise der Gegenwart kennzeichnend ist, eine an früheren Kulturen orientierte „organische, rohe Abstraktion« gegenüber und grenzt sie somit ab vom Modernismus des 20. Jahrhunderts. Damit versucht er, der profanen Welt zu entkommen und in eine Welt des Spiels hinüber zu wechseln, in einen freien Raum, der das Gefühl der Unwirklichkeit vermittelt, obwohl seine Architektur in der Natur existiert. In der Ausstellung sind Zeichnungen, Modelle und Fotografien nahezu aller Teehäuser zu sehen.

Sein Freund und berühmter Architektenkollege Toyō Itō beschreibt dies wie folgt: »Architektur ist für ihn wahrscheinlich ein Wesen, das uns an die Existenz einer größeren Natur jenseits der Natur erinnert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Fujimoris Architektur nur möglich ist, weil es Menschen gibt, die seinen Traum teilen, zu einer größeren Natur zu fliegen, die vielleicht irgendwo jenseits der realen Natur existiert. Seine neue Abstraktion könnte die Denkweise verkörpern, in der die Wünsche heutiger Menschen zum Ausdruck kommen und die erforderlich ist, wenn wir von der Natur, die vor uns liegt, zu einer anderen Natur fortschreiten wollen.«

Eine zentrale Rolle in Fujimoris Architektur spielt daneben der soziale Prozess, der Architekten, Bauherren, Handwerker und Kunden als aktiven Teil des Entstehungsprozesses von Gebäuden sieht und auf die in gegenseitigem Austausch stattfindende Schaffung eines sozialen Raumes abzielt. Im Falle des für die Villa Stuck gebauten »Walking Café« waren beteiligt: Holzfäller im Forstenrieder Park, die Zimmerei Holzbau Schmid in Trostberg, Zimmererlehrlinge der Bauinnung München, Studentinnen und Studenten der TU München (Lehrstuhl Prof. Musso), Spengler, Schindelmachter, Seiler, Gürtler, Schmiede, Vergolder, Keramiker sowie, in der Endphase, ca. zwanzig Kinder, die anlässlich eines Workshops am 1. Mai zusammenkamen, um dem Teehaus im Garten der Villa Stuck, in Zusammen-arbeit mit Terunobu Fujimori, den letzten Schliff zu geben.

Von einer brennenden intellektuellen Neugier auf die Welt, nicht nur die Welt der Architektur, getrieben, ist Fujimori somit, indem er »rückwärtsschreitend vorwärts zu schreiten scheint« (Fujimori, 2012) Vorbild für eine junge, internationale Architektengeneration, die sich auf nachhaltiges, geschichts-bewusstes und gleichzeitig zukunftsfähiges Bauen im 21. Jahrhundert spezialisiert.

Biographie Terunobu Fujimori

Terunobu Fujimori (geboren 1946 in Chino, Provinz Nagano) ist Architekturtheoretiker und Architekt. Er lebt und arbeitet in Tokio und unterrichtet am Institut für Industrial Science der Universität von Tokio. Zentrales Thema seiner theoretischen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der Architektur der Moderne und deren Ansätzen im Bereich der Städteplanung. Ursprünglich arbeitete Fujimori ausschließlich als Architekturhistoriker und widmete sich der Übersetzung einer Reihe zentraler Texte der europäischen Architekturmoderne. Seit 1991 praktiziert er darüber hinaus als Architekt.

Er debütierte mit dem »Historischen Museum der Priesterfamilie Moriya.« Weitere bekannte und wichtige Projekte waren das »Akino Fuku Museum, 1997« in Tenryu City; das Studentenwohnheim der »Kumamoto Landwirtschaftsschule, 2000«; das »Tanpopo-Haus (Löwenzahnhaus), 1995« und das »Nira-Haus (Schnittlauchhaus), 1997«, deren Wände und Dächer mit Löwenzahn bzw. Schnittlauch bewachsen waren, sowie das für den ehemaligen japanischen Premierminister Morihio Hosokawa errichtete »Ichiya-tei (Teehaus für eine Nacht), 2003«. Zu seinen jüngsten Projekten zählt das auf sechs Meter Höhe angelegte Teehaus »Takasugi-an (Zu hohes Teehaus), 2004«.

2006 war Fujimori mit der Ausstellung »Architecture of Terunobu Fujimori and ROJO: Unknown Japa-nese Architecture and Cities« auf der 10. Architekturbiennale in Venedig vertreten, deren Kommissions-mitglied er ebenfalls war. 1986, dem Jahr der Gründung der »Roadway Observation Society« (ROJO), erhielt er den »Suntory-Preis für Sozial- und Geisteswissenschaften« für seine Veröffentlichung »Kenchiku tantei nobōken: Tōkyōhen (Abenteuer eines Architekturdetektivs: Tokio Band)«; 1997 den »Japan Art Grand Prix« für das »Schnittlauchhaus« und 2001 den »Preis des japanischen Architekturinstituts, Abteilung Architekturdesign«, für das Studentenwohnheim der »Kumamoto Landwirtschaftsschule.«

Das Walking Café von Terunobu Fujimori

Das Walking Café entsteht: Workshop für Kinder mit Terunobu Fujimori am 1. Mai 2012 im Garten der Villa Stuck. Ein Film von Marie Miyayama-Sinz. Workshop mit freundlicher Unterstützung von Claytech e.K.