True RomanceAllegorien der Liebe von der Renaissance bis heute -

Tim Noble/Sue Webster, Toxic Shock, 1997, © die Künstler/the artists, Collection of John and Amy Phelan
Tim Noble/Sue Webster, Toxic Shock, 1997, © die Künstler/the artists, Collection of John and Amy Phelan

Gepriesen sei die erste süße Qual
der Strahlen ihres Blickes, die mich bezwangen,
die Pfeile Amors, die mein Herz durchdrangen,
die Herzenswunden tief und ohne Zahl.
(Francesco Petrarca)

Anne de Polignac, Triumph der Liebe, Miniatur aus dem Codex der Anne de Polignac/Triumph of Love, miniature from the Codex of Anne de Polignac, um 1500, aus Francesco Petrarca, Triumphe, Biblioteca Petrarchesca Reiner Speck, Köln
Anne de Polignac, Triumph der Liebe, Miniatur aus dem Codex der Anne de Polignac/Triumph of Love, miniature from the Codex of Anne de Polignac, um 1500, aus Francesco Petrarca, Triumphe, Biblioteca Petrarchesca Reiner Speck, Köln
Albrecht Dürer, Der Spaziergang, 1498, Kupferstich, 196 x 116 mm, Staatliche Graphische Sammlung München, Foto: Engelbert Seehuber
Albrecht Dürer, Der Spaziergang, 1498, Kupferstich, 196 x 116 mm, Staatliche Graphische Sammlung München, Foto: Engelbert Seehuber
Dora Maar, Jacqueline Lamba de profil une flệche aux doigts (Jacqueline Lamba mit Pfeil/Jacqueline Lamba with Arrow) , 1930er/1980er, Sammlung Thomas Harmstorf, Hamburg © VBK, Wien, 2007

Amors Pfeil, Sinnbild der Liebe, erstrahlt hell, trifft auf das lose, mit einem Band umwickelte Herz, das kurz aufglüht, um sich dann, blutend, in tiefes Schwarz zu verfärben. Toxic Shock haben Tim Noble und Sue Webster ihre Leuchtinstallation aus dem Jahr 2002 betitelt. Diese setzt Liebe mit Verletzung gleich, erfasst deren sinnlich-übersinnliches Wesen formelhaft als einen oszillierenden Zustand zwischen Erfüllung und Mangel, Ideal und Realität, Glück und Schmerz.

Die romantische Sprache der Liebe ruft aus einer Fülle von Bildern die jeweils passende Assoziation auf: Glühende Verehrung und erkaltete Gefühle, das in Flammen stehende oder zu Eis erstarrte Herz, das Wandeln auf Wolken oder den Sturz in den Abgrund der Verzweiflung. Diese jederzeit abrufbaren Metaphern der Liebe sind keine Erfindungen der Werbe- und Filmindustrie. Ihre Wurzeln reichen weit zurück zu den Anfängen der neuzeitlichen abendländischen Kultur. Bis heute hat der Fundus tradierter Sinnbilder der Liebe nichts an Gültigkeit verloren.

Die Ausstellung präsentiert rund 150 Werke von über 80 KünstlerInnen aus Malerei, Zeichnung und Druckgrafik, Fotografie, Film und Installation. True Romance skizziert epochen- und gattungsübergreifend eine Geschichte der Liebe und untersucht schlaglichtartig die Entwicklung des großen Gefühls in der bildenden Kunst; sie zeichnet Parallelen zwischen historischen Darstellungen und gegenwärtiger Kunst-praxis. Ausgangspunkt der Betrachtung sind Francesco Petrarcas (1304–1374) Sonette an die ferne Geliebte Laura. In seinem Canzoniere feiert der italienische Dichter und Frühhumanist die Liebe in hoher künstlerischer Inspiration und Sprachform. Als Vorbild löst er im Europa des 15. und 16. Jahrhunderts eine Lawine der Liebesdichtung aus, die auf dem Gebiet der Malerei in den kulturellen Zentren Italiens eine Fülle von Porträtdarstellungen geliebter Frauen anregt.

Die zentralen mythologischen Gestalten der Liebe, Amor und Venus, deren Darstellung in der Renaissance der Antike ihre Hochblüte hat, verdichten sich in der Schau zu ikonografischen Bilderreihen, von Franz von Stucks Amor Imperator über Dora Maars hintergründige Pfeilträgerin bis zu Lois Renners fotografischer Caravaggio-Reinszenierung. Venus wird als Verkörperung von himmlischer und profaner Liebe im Gemälde von Joseph Heintz d. Ä. ebenso thematisiert wie in den zeitgenössischen Revisionen von Mark Boyle und Joan Hills, Valie Export, Ulrike Rosenbach oder Cy Twombly.

Liebesreflexionen in der aktuellen Kunst handeln oft von unerfüllter Sehnsucht, zerbrochenen Träumen, massenmedialer Entleerung, Kommerzialisierung und der Erstarrung der Liebe im Klischee. Der Verlust des Ideals rückt hier ins Zentrum – und doch lebt das Liebeslob in alten und neuen Formen fort: in direkt dem Alltag entnommenen Bildern, emotional aufgeladenen Darstellungen von physischer Nähe und Innigkeit, aber auch in poetischen oder allegorischen Arbeiten wie »Untitled« (Lover Boys) von Felix Gonzalez-Torres, der den Körper des Geliebten in Bonbons aufwiegt.

Zur Ausstellung

Die Gedichte Petrarcas als Ausgangspunkt

Im Mittelalter begründen die Troubadoure an den Höfen des provenzalischen Adels im Minnesang eine neue Liebeslyrik, die die holde und (meist) unerreichbare Herrin preist und begehrt. Zwei Jahrhunderte später löst der italienische Dichter Francesco Petrarca (1304–1374) in der Nachfolge Dantes mit seinen Sonetten an die schöne, ferne Laura eine Welle der Liebesdichtung aus. Erstmals formuliert Petrarca das intensive Durchleben und die poetische Gestaltung des Dramas von erwachtem Gefühl, wachsender Sehnsucht und verzehrendem Verlangen. Die Gefühle, die er in seiner Dichtkunst beschreibt, durchwandern alle möglichen Höhen und Tiefen der Seelenlandschaft. Den oftmals mit der Liebe verbundenen ambivalenten Gemütszuständen verleiht er in eindringlichen Sprachbildern Ausdruck: „Ich bin im Sommer Eis, im Winter Feuer.“

Petrarcas Lob der Laura schlägt sich in der italienischen Renaissance in aufwändigen Liebesritualen und zahlreichen Porträts zur Erhöhung der Geliebten nieder. Seine Liebe zu einer abwesenden Phantasiegestalt, die nur in der Lyrik Erfüllung findet, lebt in der Tradition der Liebesdichtung ebenso fort wie in der Geschichte der Malerei.

Mythologische Gestalten als Sinnbilder für Liebe: Venus und Amor

In der Renaissance wird die Liebe, ganz im Sinne der wiederentdeckten Antike, als Lehrmeisterin für die sittliche Vervollkommnung des Menschen aufgefasst. In der bildenden Kunst wird die Liebe oftmals von erotischen und sinnlichen Frauen verkörpert. Bildnisse der Venus, etwa von Tizian oder Giorgione, verleihen dem abstrakten Ideal Züge individueller femininer Anmut.

Eine – ironisch moderierte – Hommage an die Weiblichkeit unternehmen die zeitgenössischen Künstler Jean-Jacques Lebel und Peter Weibel. Letzterer verbindet in seinem Video Venus im Pelz historische Venus-Ikonen mit aktueller Fotografie und zeigt somit, dass die Liebe und ihre Personifikationen durch die Zeiten hindurch Bestand haben. Auch andere KünstlerInnen des 20. Jahrhunderts wie Erwin Blumenfeld, Harry Callahan, Petrus Wandrey und Elodie Pong veranschaulichen, dass die mythologischen Sinnbilder der Liebe, angeführt vom Bild der Venus, noch lange nicht ausgedient haben. In feministischen Rollenspielen eignen sich Ulrike Rosenbach und Valie Export die Venus-Figur an und sprengen mit ihren Arbeiten männlich dominierte Konventionen. Max Klinger oder Mel Ramos, dessen Gemälde David’s Duo auf der Vorlage von Jacques-Louis David basiert, fassen die Liebesgeschichte des antiken Traumpaars Amor und Psyche neu auf. Michelangelo Pistolettos klassische Venus, die vor einem Lumpenhaufen wie vor den Trümmern der Geschichte steht, revidiert scheinbar die historischen Idealisierungen und trägt dennoch zum Unsterblichkeitsmythos der Liebes- und Schönheitsgöttin bei.

Franz von Stucks schelmischer Amor Imperator suggeriert, als mythologische Personifikation der Liebe, über alles zu regieren. Lois Renner, der Caravaggios bekannte Ikone Amor ist Sieger ins Zentrum seiner Fotografie gestellt hat, schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, indem er die triumphierende Figur des Liebesgottes wie auf einer Bühne spielerisch in Szene setzt.

Amor, der seit hellenistischer Zeit als geflügelter Knabe mit Pfeil und Köcher dargestellt wird, verfügt über die Macht, mit goldenen oder in Blei getauchten Pfeilen beim getroffenen Opfer Verliebtheitsgefühle oder aber auch, in selteneren Fällen, Hass zu entfachen. Der von Venus und Mars gezeugte Göttersohn, in der klassischen griechischen Kunst unter dem Namen Eros bekannt, entscheidet als Auslöser jäh einsetzender Liebesgewalt über Glück und Leid der Sterblichen. Dabei verfehlt Amors Pfeil manchmal auch sein Ziel, denn die Liebe ist bisweilen blind, wie Darstellungen des Liebesgottes mit Augenbinde symbolisieren. In Dora Maars surreal-rätselhafter Verwandlung Amors in weibliche Gestalt und in zeitgenössischen Adaptionen, wie jenen von Marina Abramovic und Ulay, wird der Mythos neu aufgefasst und revidiert. Von der Ambivalenz der Liebe und der Liebesbeziehungen, dem Changieren der Gefühle zwischen Zuneigung und Hass, von ekstatischer Freude, Verletzung, Trauer und Wut berichten die Arbeiten von Runa Islam, Anna Jermolaewa, Isaac Julien und Tracey Moffat. Die Polarität des großen Gefühls, die sich auch schon bei Petrarca findet, ändert nichts daran, dass die Liebe am Ende alles besiegt: Die Virgil zugeschriebene Zuversicht Amor vincit omnia (Liebe besiegt alles) hat ihre Gültigkeit über die Jahrhunderte bewahrt.

Love is Real

Das von Albrecht Dürer 1498 dargestellte Liebespaar wird von der Gestalt des Todes, die hinter einem Baum hervorlugt, beobachtet. Liebe, so deutet Dürer damit an, ist vergänglich wie das Dasein selbst. Der Idealisierung des großen Gefühls, die in der italienischen Renaissance ihre Blüte hat, steht die Nüchternheit zwischenmenschlicher Beziehungen im 20. Jahrhundert gegenüber. Dabei wird die Realität im Spannungsbogen zwischen Endlichkeit und Dauer weiterhin am Ideal ewigen Glücks gemessen. Die Liebe des 20. Jahrhunderts zeigt sich im Alltag durch körperliche Nähe, expressive Gesten, Berührungen, gemeinsam erlebte Aktivitäten und – als ein ultimativer Beleg romantischer Zugehörigkeit – durch den Gang zum Traualtar. Liebe wird zur selbstverständlichen Basis des Zusammenlebens der Geschlechter, das sich gegen Ende des letzten Jahrhunderts längst nicht mehr auf Mann-Frau-Konstellationen beschränkt, wie etwa David Armstrong, Nan Goldin, Mark Morrisroe oder Ena Swansea zeigen. Neben allegorischen oder personifizierten Darstellungen des Liebesideals entstehen Bilder, die von Körperlichkeit, Sexualität und konkret erfahrener Liebe erzählen. Das Video Double Blind (No Sex Last Night) von Sophie Calle und Gregory Shephard beispielsweise zeigt gemeinsam erlebte Situationen eines Paares auf einer Reise, die zum Prüfstein der Liebe und deren Alltagstauglichkeit werden. Hans-Peter Feldmann geht noch einen Schritt weiter: In seiner Sammlung von anonymen Fotografien dokumentiert er die Realität des großen Gefühls fernab jeglicher Stilisierung – Bilder wie sie das Leben schreibt.

Ideal und Scheitern der Liebe

Anknüpfend an die Tradition von Dante und Petrarca, verleiht der englische Maler, Dichter und Mitbegründer der Präraffaeliten Dante Gabriel Rossetti dem idealisierenden Frauenlob der Troubadoure im 19.Jahrhundert neue Gestalt – nunmehr als Feier der eigenen ehelichen Liebeserfahrung. Parallelen dazu finden sich in der symbolhaltigen, mythisch aufgeladenen Malerei Franz von Stucks in Deutschland, während in Werken von Künstlern des Wiener Jugendstils wie Gustav Klimt das Ideal perfekter Harmonie zwischen Liebenden zur Darstellung kommt. Mit ihren engen Umarmungen und innigen Küssen thematisieren auch zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler wie Richard Artschwager, Barnaby Furnas und Nan Goldin die Utopie vollständiger Verschmelzung zweier Menschen in Zuneigung.

Die Idealvorstellung der Liebe ist zwangsläufig gebunden an ihr Scheitern und birgt die Dimensionen der Enttäuschung und der Desillusionierung. Besonders intensiv wird das Liebesleid in Edvard Munchs von Seelenqual unterströmter Bildsprache gegenwärtig. Die Verschattung der Liebe durch ihre dunklen Kehrseiten gewinnt als Gegenstück zum tradierten Liebeslob vor dem Hintergrund neuer Rollenverständnisse im 20. Jahrhundert noch an Raum. Douglas Gordon entleert in seiner Videoinstallation Monument for X den liebenden Impetus des Kusses, indem er ihn als Endlosschleife andauern lässt.

Love for Sale

Die rasante Entwicklung der Konsumgesellschaft schlägt sich ab den 1950er Jahren auch in der Kunst in Europa und den USA nieder. Adaptiert die Pop Art in den 1960er Jahren Inhalte aus den Massenmedien und der Warenwelt, so missbraucht die Werbe- und Unterhaltungsindustrie das Thema Liebe mehr und mehr für ihre Zwecke. Die Werbung nutzt die kollektive Sehnsucht nach dem großen Gefühl zur Produktplatzierung. Lifestyle-Magazine und Kinofilme bringen massenkompatible Bilder der Liebe in Umlauf, die sich als Projektionsfläche für Wünsche eignen, wie die Videocollage 1000 Küsse von Klaus vom Bruch und Ulrike Rosenbach vor Augen führt. Tradierte Liebessymbole wie Herzen werden zur Verkaufsförderung benutzt, die – so in Susanne Sanders Valentine’s Night – auf den Plattformen der Konsumwelt attraktiv in Szene gesetzt werden. Geradezu inflationär behandelt Damien Hirst das Liebesthema in seiner umfangreichen Gruppe von verschiedenfarbigen Schmetterlingsbildern: Der britische Künstler hat die sprichwörtlichen Schmetterlinge im Bauch als schaurig-schönes Memento mori konserviert. Die Aushöhlung individueller Emotionstiefe reflektieren auch Katharina Fritschs kühl glitzerndes Herz mit Geld und Richard Princes fotografische Fundstücke Couples aus der Sphäre der Modekataloge, in der Models mit gefrorenem Lächeln die populären Klischees liebevoller Intimität darstellen.

Katalog

True Romance. Allegorien der Liebe von der Renaissance bis heutehg. von Belinda Grace Gardner (Hamburg), Michael Buhrs (Museum Villa Stuck, München), Dirk Luckow (Kunsthalle zu Kiel), Gerald Matt (Kunsthalle Wien). Vorwort: Michael Buhrs, Dirk Luckow, Gerald Matt. Texte von Belinda Grace Gardner, Michael Glasmeier, Eva Illouz, Hanne Loreck, Angela Stief, Ingeborg Walter und Dörte Zbikowski. Deutsch/Englisch, 268 Seiten mit ca. 120 farbigen Abbildungen, Dumont. ISBN 978-3-8321-9049-1.