Von FerneBilder zur DDR -

Tina Bara: Lange Weile, 2016, Foto-Film, HDV, schwarz-weiß, Ton, 62 Min. Courtesy the artist, Foto: © Tina Bara

Mit Arbeiten von Tina Bara, Seiichi Furuya, Tamami Iinuma, Sven Johne, Jens Klein, Jürgen Kuttner, Christian Lange, Emanuel Mathias, Katrin Mayer, Simon Menner, Einar Schleef, Christine Schlegel, Joachim Schmid, Erasmus Schröter, Maya Schweizer, Gabriele Stötzer, Paul Alexander Stolle, Elisabeth Tonnard, Andreas Trogisch, Joerg Waehner und Ulrich Wüst.

Die Gruppenausstellung Von Ferne. Bilder zur DDR präsentiert Formen des produktiven Umgangs mit dem visuellen Nachlass der DDR. Das Ausstellungsprojekt zeigt 18 künstlerische Positionen aus den Jahren 1981 bis 2019: fotografische Bilder aus der und über die DDR. Filme, Lesungen und Performances ergänzen die Schau als temporäre Projekte. Zu sehen sind Arbeiten, für die sich Künstler* innen fremde wie auch eigene Bilder (erneut) aneignen und so für eine Neubetrachtung aus heutiger Perspektive öffnen. Manche der Arbeiten verschränken in medienübergreifenden Ansätzen Bild und Text. Dabei geht es auch um die Frage: Wie blicken wir dreißig Jahre nach dem Mauerfall 1989 auf die DDR zurück? Zwischen individuellem und kollektivem Erinnerungsprozess wird die DDR beschworen und mit diesen Werken Geschichte(n) auf- und verarbeitet.

Vereinnahmte fremde Bilder werden ihrem ursprünglichen Kontext enthoben; sie werden erweitert, in andere ästhetische wie inhaltliche Zusammenhänge übersetzt und letztlich zur Interpretation freigegeben. So eröffnen sie mögliche Fragen nach den Räumen, in denen sie einst standen, nach ihrer Rezeption und ihrem Erkenntniswert: Wovon erzählen die Bilder? Geben sie eine Antwort? Falls ja: auf welche Frage eigentlich?

Zur Ausstellung

Die Künstler*innen der Ausstellung appropriieren fotografische Bilder zur DDR aus institutionellen wie auch privaten Archiven und bemühen jene als diskursive Systeme. Durch verschiedene Strategien des Sichtbarmachens von angeeigneten Bildern werden unterschiedliche Themen berührt, so etwa bei Tina Bara der Blick auf die eigene Biografie und das (damit verknüpfte) eigene fotografische Werk. Bei der Betrachtung ihrer Fotografien aus den 1980er Jahren im Jahr 2016 erinnert sie sich an Personen, Dinge und Ereignisse aus ihrem Leben und stellt die damit verbundenen Assoziationen und Erinnerungen in ihrem Foto-Film Lange Weile als Kommentare ihren Fotografien bei. Erasmus Schröter befasst sich in seinen Assemblagen aus seiner Sammlung von Echt-Foto-Postkarten mit dem Umgang mit gesuchten und gefundenen Bildern; Jens Klein arbeitet für seine Ballons mit Fotografien aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv und legt mit seiner Transformierung offen, wie mittels verschiedener Kontexte neue Bedeutungsebenen in Bilder eingeschrieben werden können. Paul Alexander Stolle schöpft für seine Arbeiten aus privaten Archiven. Anhand von Amateurfotografien seines Vaters und zwei seiner Kollegen erzählt er davon, wie es war, als Musiker des Gewandhausorchesters zu Leipzig weltweit reisen zu können. Christian Lange greift, wie einige andere in der Ausstellung vertretene Künstler*innen, auf Publikationen aus der DDR zurück, beispielsweise auf Bücher, Werbekataloge und Zeitungen. Ausgehend von der Betrachtung seiner eigenen Biografie, dokumentiert er anhand des Haushaltsbuches der Mutter in Verschränkung mit Familienfotografien und Produktbildern, Zeugnissen und Quittungen den damaligen Alltag.

Formen des Umgangs mit Erinnerung sowie des Oszillierens zwischen Erinnerung als individueller und kollektiver Prozess stehen im Fokus der Ausstellung. Erinnern kann als eine Art Beschwörung, als Ver- oder Aufarbeitung aufgefasst werden. Die Neubetrachtung fremder, aber auch eigener Bilder lässt die Künstler*innen an Erinnerungsorte (lieu de mémoire, Pierre Nora) zurückkehren und sie sukzessive vom Jetzt in die Vergangenheit gehen. Im übertragenen Sinne manifestieren sich Bilder als Orte, an denen sich Gedächtnis offenbart. Seiichi Furuya betreibt unter dem Titel Mémoires seit Ende der 1980er-Jahre visuelle Gedächtnisarbeit. In Künstlerbüchern und Ausstellungen präsentiert er Porträts seiner Frau Christine und Bilder ihrer gemeinsamen Reisen und zeitweiligen Wohnorte in stets neuen Konstellationen. Besonders die Bilder aus Dresden und Ostberlin, wo die Familie zwischen 1984 und 1987 lebte, sind rare Dokumente, geprägt vom Wechselspiel zwischen Privatem und Öffentlichem, persönlichem Blick und der Distanz des Dokumentierenden.

In zahlreichen Arbeiten, die in der Ausstellung zu sehen sind, geht es um das Ordnen und Verwalten im Hinblick auf eine spätere, mit zeitlichem Abstand zum Entstehungszeitpunkt der Fotografien erfolgende Rezeption. Dadurch wird das Aufzeichnen eigener Aktivitäten und somit das Konservieren (als Bildgedächtnis, als Art visuelles Archiv) an sich zum Thema gemacht. So etwa bei Ulrich Wüst, der in der Ausstellung mit vier Leporellos vertreten ist. Zwei davon zeigen seine eigenen Fotografien aus den 1970er- und 1980er-Jahren, die er wie eine Art Register begreift, dessen Komponenten in erster Linie als Arbeitsmittel in seinem Atelier gedacht sind und immer wieder verändert werden. Aber auch fremdes Bildmaterial aus Büchern und Tageszeitungen bringt Wüst – nachdem er es abfotografiert hat – in neue Ordnungen und befragt die abgebildeten Inhalte.

Durch Systematisieren, Sortieren und Editieren eröffnen sich weitere Blickwinkel auf die Motive selbst wie auch auf die Räume zwischen den Motiven. Der originäre Zusammenhang, in dem die Bilder einst standen, wird durch Kontextverschiebungen neu interpretierbar und womöglich neu begreifbar gemacht. Die Rekontextualisierung der von Ferne betrachteten Bilder öffnet sich dem Wechselspiel von Privatheit und Öffentlichkeit, von persönlicher Vision und dokumentierender Distanz. Neben einem individualbiografischen Zugang spielt gesellschaftliche Relevanz eine Rolle und vice versa.

Die Bilder in der Ausstellung erzählen allesamt von Orten und Situationen, wie sie einst existierten. Doch stellt sich die Frage, welche Wirklichkeit sie repräsentieren, nachdem durch den künstlerischen Eingriff andere und neue Beziehungen zwischen ihnen hergestellt wurden. Der visuelle Nachlass der DDR will nicht nur Gefäß für ephemere Spuren von Wirklichkeit sein, die einer vergangenen Zeit entstammen. Der Fokus der Ausstellung richtet sich weniger auf die Produktion von Bildern und ihr Potenzial, Raum und Zeit zu fixieren, als vielmehr auf ihren Informationsgehalt, auf verborgene Wissensvorräte und Interpretation.

100 Sekunden mit Sabine Schmid

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