Künstlerhäuser international

Die Villa Franz von Stucks gehört zu den wenigen Künstlerhäusern um 1900, die vom Künstler selbst als Gesamtkunstwerk konzipiert wurden. Sie ist in ihrer Funktion als Künstlerhaus bis heute erhalten und ablesbar. Wichtig ist der enge, wechselseitige Bezug zwischen seinem Haus bestehend aus Villa (1897/98) und Neuem Atelier (1914/15) und seinem künstlerischen Werk als Maler, Bildhauer und Grafiker, sowie der Künstlersammlung.

Künstlerhäuser spiegeln als Schatzhäuser der Kreativität die geistigen Welten ihrer Schöpfer wider. Eine Sonderrolle nimmt dabei im internationalen Kontext der Typus des vom Künstler selbst entworfenen oder maßgeblich gestalteten Hauses ein. Europäische und amerikanische Beispiele lassen die Faszination lebendig werden, die derart sichtbar Gestalt gewordene Künstler Phantasien bis heute auf den Menschen ausüben. Bei aller Individualität repräsentieren sie die in ihrer Zeit vorherrschenden Ideen, Stile und Epochen. Als Spiegel der Aura des Künstlers ist das Künstlerhaus seit der Renaissance sichtbares Zeichen des Berufsstandes wie auch des gesellschaftlichen Anspruchs und Erfolgs. Im internationalen Austausch, aber auch in der Konkurrenz der Künstler untereinander, spielen ihre Häuser eine wichtige Rolle und zählen zu den bedeutendsten Werken ihrer Erbauer.

Im 19. Jahrhundert erfährt die Legende des Künstlers als Verkörperung des von der Renaissance postulierten Universalkünstlers eine Wiedergeburt; der Geniekult huldigt dem schöpferischen Genius. Das Künstlerhaus ist Demonstration der Persönlichkeit des Künstlers, gleichsam seine »zweite Haut«. Als architektonisches Selbstporträt, unbewusst entstandenes Abbild seiner selbst und Wesensausdruck des menschlichen Charakters, steht es stellvertretend für den Künstler, ist ihm anverwandtes Abbild und Konstrukt seines Ich. Dabei erfüllt es zahlreiche Funktionen und Bedürfnisse: Es ist Haus, Atelier und Schöpfungsort, künstlerisches Experiment, Inspiration und Kulisse, Kunstwerk. Es dient als Galerie und »Showroom«, mutiert zum Tempel, Heiligtum, Museum, vorzeitigen Kenotaph und Mausoleum. Künstlerhäuser sind Orte der Erinnerung und Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Nicht selten sind sie umfangen vom Zauber des Geheimnisvollen, Ungewöhnlichen und Fremdartigen, dem ein magisches Charisma innewohnt.

Publikation: Im Tempel des Ich

Neuauflage, ab sofort wieder erhältlich

Die Auswahl umfasst 20 sowohl berühmte existierende Künstlerhäuser als auch verloren gegangene, zerstörte und vergessene Projekte, die in ihrer Zeit von einzigartiger Bedeutung waren und bis heute faszinierende Strahlkraft besitzen, darunter Neuentdeckungen, die bislang Architekten zugeschrieben wurden. Zu sehen sind die Häuser bildender Künstler und weniger Künstler-Architekten, die von diesen bis ins Detail selbst entworfen wurden und zu ihren bedeutendsten Schöpfungen zählen. Sie werden nicht als Phänomene der Architekturgeschichte, sondern erstmals im Kontext der Werke dieser Künstler präsentiert. In ihnen realisiert sich der Künstler nicht nur als genialer Regisseur grandioser Inszenierungen, sondern als Entdecker und Schöpfer neuer Lebenswelten.

Ausgewählte Werke der Künstler, die in engem Zusammenhang mit den Häusern stehen, sowie Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Pläne und Werke der angewandten Kunst, zeichnen ein lebendiges Bild vom Einklang zwischen Kunst und Leben und einer Harmonie der Künste, die sich im historischen Begriff des Gesamtkunstwerks nach Richard Wagner widerspiegelt. Dabei geht es in diesem Zusammenhang nicht um eine Definition des Begriffs Gesamtkunstwerk, sondern um ein Gefühl: die Sehnsucht nach Individualität und Ganzheit, welche die Kunst des 19. Jahrhunderts und der Moderne prägt und im Haus des Künstlers idealtypischen Ausdruck gefunden hat.

Diese Sehnsucht ist – unabhängig vom künstlerischen Erfolg und den finanziellen Mitteln – bis heute ungestillt. Das Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk bleibt somit als Ausdrucksform unerschöpflich.

Deutsche Ausgabe: Margot Th. Brandlhuber, Michael Buhrs (Hrsg.), Im Tempel des Ich. Das Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk. Europa und Amerika 1800-1948, Verlag Hatje Cantz 2022, Preis 50 €

Englische Ausgabe: Margot Th. Brandlhuber, Michael Buhrs (Editors), In the Temple of the Self: The Artist's Residence as a Total Work of Art. Europe and America 1800-1948, Publisher Hatje Cantz 2022, Preis 50 €

Jacques Majorelle, Atelierwohnaus und Garten, Marrakesch, um 1931, Titelblatt. Foto: Jann Averwerser

Sir John Soane´s Museum, London: Ansichten des sogenannten „dome“ von Joseph Michael Gandy, 1811, S. 42-43. Foto: Jann Averwerser

Sir John Soane´s Museum, London: Perspektivische Ansicht des „dome“ und des Frühstückszimmers von Frank Copland 1818 und in zeitgenössischen Fotografien, S. 46-47. Foto: Jann Averwerser

William Morris, Red House, Bexleyheath / England: der Salon des Red House und ein runder Eichentisch mit gotischen Einflüssen für das Red House entworfen von Philipp Webb, 1860-65, S. 60-61. Foto: Jann Averwerser

Frederic Lord Leighton, Leighton House, London: Treppenhaus und Halle des Narziss in einer historischen Ansicht von 1895, S. 80-81. Foto: Jann Averwerser

Frederic Edwin Church, Olana, Hudson / New York: Ausblick vom Glockenturm des Olana State Historic Site auf den Hudson River und das Hudson River Valley in zwei Landschaftsgemälden von Frederic Edwin Church 1866-1872, S. 100-101. Foto: Jann Averwerser

Sir Lawrence Alma-Tadema, Townshend House, London: Innenansicht des Goldzimmers und des Salons in Aquarellen des Künstlers, 1883-85, S. 108-109. Foto: Jann Averwerser

Claude Monet, Haus und Garten, Giverny: der kleine blaue Salon, das gelbe Speisezimmer, das erste Atelier und die blaue Küche, S. 144-145. Foto: Jann Averwerser

Franz von Stuck, Villa Stuck, München: der Empfangssalon mit den von Stuck entworfenen Möbeln von 1898, die auf der Pariser Weltausstellung 1900 eine Goldmedaille gewannen, S. 186-187. Foto: Jann Averwerser

Franz von Stuck, Villa Stuck, München: Sternenhimmel und Orpheus-Wand im Musiksalon 1898, S.190-191. Foto: Jann Averwerser

Victor Horta, Atelierwohnhaus, Brüssel: Treppenhaus, S. 226-227. Foto: Jann Averwerser

Fernand Khnopff, Villa Fernand Khnopff, Brüssel: Fassade des weißen Atelierhauses 1901, S. 228-229. Foto: Jann Averwerser

Johann Michael und Jutta Bossard, Atelierwohnhaus und Kunsttempel, Jesteburg: Innenraum des Kunsttempels, um 1926-28, S. 252-253. Foto: Jann Averwerser

Kurt Schwitters, Merzbau, Hannover: Reliefs, die im Kontext des Merzbaus entstanden sind - Bewegtes Weiß und Blau und Gelb, um 1944 und das Merzbild 1933,2 „Umschuldung“ 1932/1934, S. 266-267. Foto: Jann Averwerser

Theo van Doesburg: Atelierwohnhaus, Meudon-Val-Fleury/Paris: Blick in die südwestliche Ecke des Ateliers vor Mitte 1935 und Theo van Doesburgs, Kontra-Komposition XVI, 1925, das sich an zentraler Stelle im Atelier befand, S. 308-309. Foto: Jann Averwerser

Georgia O´Keeffe, Atelierwohnhaus, Abiquiu/New Mexico: das Wohnzimmer des Hauses in Abiquiu und Georgia O´Keeffe, Winter Trees, Abiquiu I, 1950, S. 338-339. Foto: Jann Averwerser

Max Ernst und Dorothea Tanning, Atelierwohnaus, Sedona/Arizona: Max Ernst bei der Arbeit am großen Fries in Sedona fotografiert von Bob Towers 1948 und die heute noch erhaltenen Masken aus dem Fries 1948, S. 362-363. Foto: Jann Averwerser

Max Ernst und Dorothea Tanning, Atelierwohnaus, Sedona/Arizona: das Künstlerpaar mit der Zementplastik Steinbock (Capricorn) und beim Schachspiel in Sedona 1948; das Fassadenrelief des früheren Hauses in Saint-Martin d´Ardèche und Max Ernst, Celebes, 1921, S. 360-361. Foto: Jann Averwerser

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