Louise Giovanelli (*1993 in London) ist eine der vielversprechendsten britischen Künstler*innen ihrer Generation. In Zusammenarbeit mit der Hepworth Wakefield Gallery und der HALLE FÜR KUNST Steiermark zeigt das Museum VILLA STUCK mit "A Song of Ascents" die erste große Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland.
Was verbirgt sich hinter dem Vorhang? Bevor eine Aufführung beginnt, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die noch verhüllte Bühne. Während die Spannung steigt, spielt sich alles zunächst in der Vorstellung des Publikums ab – Erwartungen und Möglichkeiten sind grenzenlos. Louise Giovanelli fängt diesen Zauber des flüchtigen Augenblicks in ihren oft großformatigen Ölgemälden ein. Das Motiv ist vergänglich, doch die detailreich gemalten Stoffe strahlen eine bleibende Qualität aus.
Giovanellis Spiel mit der Verhüllung macht neugierig. Sie lädt ihr Publikum ein, über Wahrnehmung, Erkenntnis und Repräsentation in der Kunst nachzudenken. Rahmen, Bühne oder Vorhang werden selbst zum Thema – zu Räumen, in denen sie das dramatische Potenzial von Farbe, Licht und Textur erforscht. Die drapierten Stoffe erinnern mit ihren lasierenden Farbschichten an die Malerei der Renaissance und lösen sich zugleich in funkelnden Reflexen theatralisch auf. Diese Technik überträgt Giovanelli auch auf Motive wie Kleider und Perücken, die ebenso präzise wie artifiziell wirken. So verweist ihre Malerei auf die Künstlichkeit der Kunst selbst.
Im Zentrum dieser scheinbar glamourösen Bildwelten steht Giovanellis Interesse an Ritualen, die Übergänge zu veränderten Bewusstseinszuständen markieren. In einigen Bühnenmotiven bezieht sie sich auf die sogenannten Working Men’s Clubs – Einrichtungen der britischen Arbeiterklasse seit dem 19. Jahrhundert, gedacht als Gegenstück zu den elitären Gentlemen’s Clubs. Für Giovanelli verkörpern sie zugleich die Sehnsucht nach Weltflucht und das Versprechen von Aufbruch. Auch religiöse Bezüge durchziehen ihr Werk, etwa das Ritual des Autodafé – die öffentliche Zeremonie der spanischen und portugiesischen Inquisition, bei der Urteile verkündet und von weltlichen Behörden vollstreckt wurden. Der Ausstellungstitel A Song of Ascents verweist wiederum auf Psalmen, die Pilger auf dem Weg zu heiligen Stätten sangen. Rituale markieren für Giovanelli die Schnittstelle, an der Transzendenz erfahrbar wird.
Religion trifft in ihren Gemälden auf das nicht minder ritualisierte Nachtleben. Angelehnt an die Bildsprache der Popkultur der 1970er bis 1990er Jahre verschmelzen sakrale Zeremonien mit dem Hedonismus der Clubszene. Besonders deutlich zeigt sich diese Spannung in kleineren Darstellungen fragmentierter Gesichter, gefangen in Momenten von Ekstase oder Entsetzen. Offene Münder deuten Lust, Rausch oder Schreck an. Trunkenheit wird hier zur bewusstseinserweiternden Erfahrung, in der Drogen, Sexualität und Erleuchtung miteinander verschmelzen. Mit zunehmender Intensität treffen Begierde, Gewalt und Horror aufeinander, während individuelle Züge in den Hintergrund treten.
Giovanelli greift auf vielfältige Quellen zurück – Fotografien, Filmstills und ikonische Werke der europäischen Kunstgeschichte. Doch ihr Glamour überstrahlt konkrete Anspielungen ebenso wie soziale oder ethnische Unterschiede. Glitzernde Effekte verschleiern das eigentliche Erscheinungsbild und lenken den Blick ab – auch von abgenutzten Vorhängen. In diesem Glanz gibt es keine Vereinzelung mehr, sondern nur noch kollektive Ekstase.